Auf den Flügeln des Adlers
bemerkte.
»Sei gegrüßt, du Sohn einer Schildkröte«, sagte Michael laut. Der Eurasier fuhr herum, um zu sehen, wer es wagte, ihn mit dem alten chinesischen Schimpfwort zu beleidigen. »Bei Gott, es ist ein großer Tag für jeden Iren! Das gilt sogar für halbirische Schlitzaugen«, setzte Michael seine Beschimpfungen fort.
»Michael Duffy, du alter Mistkerl!«, brüllte John Wong, wobei er den chinesischen Händler, dem er wegen dessen ungeheuerlichen Preises für Ingwer die Meinung gesagt hatte, völlig vergaß. »Du lebst also noch!« Mit ein paar langen Schritten hatte der Sohn einer Irin und eines Chinesen Michael erreicht und packte ihn mit seinen riesigen Pranken an den Schultern. Mit einem beglückten Grinsen, das ihn geradezu dümmlich wirken ließ, starrte er seinem alten Freund ins Gesicht. »Wie zum Teufel geht es dir?«
»Ich lebe noch, auch wenn ich Freunde wie dich und Horace Brown habe«, erwiderte Michael ebenso dümmlich grinsend. »Meine Güte, John, du hast als reicher Kaufmann aber ganz schön Fett angesetzt.«
»Und ich habe vor, noch dicker zu werden, du alter Taugenichts«, knurrte John, der Michaels Bemerkung über seine breiter gewordene Taille offenbar nicht übel nahm. Obwohl er kaum dreißig war, wirkte sein Körper wie der eines gesetzten Mannes in mittleren Jahren. »Wenn du mir also mit irgendeinem hirnrissigen Plan kommst, bei dem ich dir und Horace Brown helfen soll, kannst du das gleich wieder vergessen.«
»John, John!« Michael spielte den Beleidigten. »Ich werde doch einen alten Freund nicht besuchen, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Abgesehen von einer Flasche natürlich, die wir auf die alten Zeiten leeren. Und bitte nicht deinen billigen Reiswein, klar?«
John löste den Griff um die Schultern seines Freundes und wandte seine Aufmerksamkeit dem chinesischen Kaufmann zu, der den hoch gewachsenen Europäer mit der schwarzen Lederklappe über einem Auge neugierig anglotzte. John sagte etwas zu dem Chinesen, und der musterte ihn finster. Eine Flut von Wörtern sprudelte aus seinem Mund hervor. »Und deine Vorfahren auch!«, schimpfte John zurück.
Dann wandte er sich Michael zu und führte ihn in den hinteren Lagerbereich, wo sich ein winziger Raum befand, der mit Geschäftsbüchern und bizarren Jadekuriositäten aus den exotischen Ländern des Ostens voll gestopft war. Er bedeutete Michael, sich auf eine an einer Wand stehende Kiste zu setzen, und wühlte in seinem mit Schnitzereien verzierten Teakschreibtisch nach der Ginflasche, die er dort für Notfälle wie das plötzliche Erscheinen von Michael Duffy aufbewahrte. Dann trieb er zwei kleine Schalen auf, die er mit der feurigen Flüssigkeit füllte. Er hob seine Schale. »Auf Sankt Patrick und meine ehrenwerten chinesischen Vorfahren«, verkündete er mit einem breiten Grinsen. Michael erwiderte den Trinkspruch, indem er einen kräftigen Schluck von der klaren, würzigen Flüssigkeit nahm. »Wann bist du zurückgekommen?«, erkundigte sich John vorsichtig. »Warst du schon bei Kate?«
»Gestern«, erwiderte Michael. »Heute Abend treffe ich sie noch mal.«
»Hast du Horace Brown gesehen?«
»Ja. Er scheint ziemlich krank zu sein.«
John nickte ernst. Der kleine Engländer besuchte ihn oft, um sich auf Chinesisch mit ihm zu unterhalten. Ihre Freundschaft beruhte auf ihrer gemeinsamen beruflichen Vergangenheit – einer Vergangenheit, die John auf keinen Fall wiederbeleben wollte. Schließlich war er auf dem besten Weg, mit dem Lösegeld, das er vor Jahren von der Familie einer schönen Cochinchinesin erhalten hatte, weil er das Mädchen wieder nach Hause gebracht hatte, ein gut gehendes Importgeschäft aufzubauen.
Horace hatte John über Michaels Leben im Fernen Osten auf dem Laufenden gehalten – natürlich nur über das, was er für gewährleistet hielt. In letzter Zeit waren Horace’ Besuche seltener geworden, weil der Krebs die Oberhand zu gewinnen begann und Johns Opium an Wirkung verlor.
»Ich glaube nicht, dass er das Jahr übersteht«, sagte John düster. »Eine Ära in unserem Leben geht zu Ende, alter Freund.«
»Das verdammte Außenministerium wird schnell Ersatz finden«, meinte Michael bitter. »Den Mistkerlen ist er doch völlig egal.«
John hob die Augenbrauen. Das klang ganz so, als hätte Michael den Engländer, der ihn so oft in Lebensgefahr gebracht hatte, ins Herz geschlossen. »Was für Pläne hast du für die Zeit nach seinem Tod?«, erkundigte er sich. »Du weißt, dass bei mir
Weitere Kostenlose Bücher