Auf den Flügeln des Adlers
Holster. Rasch säuberte er den Mechanismus der Waffe, um den Sand zu entfernen. Dann lud er jede Kammer sorgfältig neu. »Schlage zu, MacDuff!«, sagte er schließlich zu Private MacDonald, der in der Dunkelheit das Gesicht verzog.
»MacDonald ist mein Name, Sir!«
Grinsend schüttelte Patrick den Kopf. Mit Shakespeare war der große Schotte offenbar nicht vertraut. Aber das brauchte er auch nicht zu sein; hier im Sudan konnte er in der Hitze der Schlacht mit seinen kräftigen Armen und den Kriegsrufen des MacDonald-Clans weit größeren Eindruck schinden.
Die beiden Soldaten hatten keine Mühe, die linke Flanke der in der Wüste kampierenden, zehntausend Mann starken Armee zu erreichen. Beide waren von früheren Feldzügen her mit Biwak-Camps vertraut, und so fanden sie instinktiv ihren Weg durch das Gewimmel von Kamelen, Maultieren und Pferden, die von einem kleinen Heer von Zivilisten betreut wurden. Sir Gerald Graham hatte seine Armee in einem riesigen Rechteck mit einer Seitenlänge von zweihundert mal fünfhundert Metern aufgestellt, eine Formation, die sich bei Waterloo gegen die eindrucksvolle Übermacht der Napoleonischen Kavallerie durchgesetzt hatte.
Innerhalb des menschlichen Walls von mit Bajonett und Gewehr bewaffneten Soldaten kümmerten sich die dem Heer folgenden Zivilisten um Wasser, Proviant und die gesamte Ausrüstung einer viktorianischen Expeditionsarmee: das persönliche Essgeschirr der Offiziere, Planwagen mit dem charakteristischen roten Kreuz der Krankentransporte, Futter für die Packtiere, Sanitätsartikel und die vom Quartiermeister sorgsam gehüteten Ausrüstungsgegenstände, die für nachlässige Soldaten in Reserve gehalten wurden.
Als Patrick auf die Männer aus Neusüdwales stieß, tranken sie gerade den zu ihrer Ration gehörenden Kaffee. Selbst in der Dunkelheit waren sie kaum zu verfehlen; er musste nur dem charakteristischen Akzent folgen, der sich bei reichlich Brot und Hammelfleisch unter der Sonne seiner Heimat entwickelt hatte. Es kam ihm merkwürdig vor, die schleppende Sprechweise in der sudanesischen Nacht zu hören. Zarte Erinnerungen an seine Kindheit stiegen in ihm auf und weckten sein Heimweh nach den milden, sonnigen Wintern Sydneys, ja sogar nach dem süßen, durchdringenden Geruch des Eukalyptus, der in den langen, trockenen Sommern in Flammen aufging, wenn um Sydney herum die Buschfeuer tobten. Allzu lange hatte er unter Engländern im Schnee und Matsch der endlosen nördlichen Winter gelebt. Zu lange war er den Bildern, Geräuschen und Gerüchen seines Geburtslandes fern geblieben. Noch nicht einmal die magischen keltischen Nebel konnten ihm ersetzen, was er jenseits des Indischen Ozeans in einem fernen Land erlebt hatte, das gleichzeitig neu und sehr alt war.
»Ich suche Captain Thorncroft«, sagte Patrick zu einem Soldaten, dessen Silhouette sich vor dem Sternenhimmel abzeichnete.
»Der ist wahrscheinlich bei Lieutenant Parkinson. Da drüben, Kumpel«, erwiderte der Australier fröhlich, wobei er auf eine Gruppe Männer deutete, die in der Nähe in ein Gespräch vertieft waren.
»Du sprichst mit einem Offizier«, schimpfte Private MacDonald, der hinter Patrick stand. Die Flegelei der Kolonialtruppen wollte er gar nicht erst einreißen lassen.
»Tut mir Leid, Kumpel … ich meine, Sir«, sagte der Australier, den es offenbar nicht weiter belastete, dass er Patricks Rang nicht erkannt hatte. Patrick grinste nur über diese Frechheit. Es war eine erfrischende Abwechslung, wenn ein Soldat nicht sofort zackig grüßte.
Als Patrick und Private MacDonald außer Hörweite waren, wandte sich der australische Soldat wieder seinem Kameraden zu, mit dem er sich darüber unterhalten hatte, wie die Chancen standen, dass es innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu einer Auseinandersetzung mit den Truppen des Derwisch-Führers Osman Digna kam. Digna war ein Verbündeter des charismatischen Mahdi, der die Eingeborenen in den heiligen Krieg gegen die Briten geführt hatte. Vor mehreren Monaten hatten die Derwische Khartum gebrandschatzt, wobei der »Chinesen«-General Gordon ums Leben gekommen war.
Was ursprünglich als Entsatz für Gordon geplant gewesen war, hatte sich zu einer Strafexpedition der Briten entwickelt. Gordon hatte nie die Gunst von Premierminister Gladstone genossen, aber die britische Öffentlichkeit war von der Presse so aufgehetzt worden, dass sich Gladstone gezwungen sah, eine Streitmacht zur Unterstützung des Mannes zu entsenden,
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