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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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schienen die Stimmen zu verstummen. Sie schloss die Augen, um den Schmerz zu verdrängen. Als sie sie wieder öffnete, bot sich ihr ein völlig unerwarteter Anblick. Erschrocken rang sie nach Luft, denn über ihr stand ein großer, dünner Krieger, der mehrere Speere in der Hand hielt. Doch in seinem bärtigen Gesicht las sie nur Mitgefühl, keine Feindseligkeit, und so lächelte sie ihn an. Der Nomade erwiderte ihr Lächeln.
    Er rief etwas über die Schulter, woraufhin eine Aborigine-Frau erschien, die sich neben Kate kniete und angesichts ihrer Pein mütterlich glucksende Laute von sich gab. Dann sprach der Krieger zu ihr – in einer Sprache, die sie verstand! »Bei Jingo, Missus, große Schmerz du, mein Wort. Große Vogel bringen Nachricht schwarze Mann.«
    Die Bedeutung seiner Worte blieb Kate schleierhaft, aber sie war nun vollauf mit den stärker werdenden Kontraktionen beschäftigt. Die Wehen hatten voll eingesetzt, doch viele weibliche Hände standen ihr bei und halfen ihr, ihren Sohn zur Welt zu bringen.
    Und so wurde in der flimmernden Hitze des Spätnachmittags Matthew Tracy geboren. An seinem von der Geburt noch nassen Körper klebten rote Erde, Gräser und Zweigstückchen, als Kates eingeborene Hebamme ihr das brüllende Baby an die Brust legte. Die Frau lächelte breit, sodass ihre weißen Zähne blitzten. Ein neues Leben war auf den unbarmherzigen, wüstenhaften Ebenen immer Anlass zur Freude.
     
    Willie kehrte am selben Abend zurück. Erschöpft von dem scharfen Ritt brachte er die Frau eines Kneipenwirts und ihren Sohn mit, einen schlaksigen jungen Burschen, der ihre Kutsche fuhr.
    In der Dunkelheit hatte Willie das winzige Lagerfeuer auf der Ebene gesehen, das sie zu Kate führte. Als er erkannte, dass sie ihren Säugling stillte, fiel er fast aus dem Sattel. Es schien ihr gut zu gehen, auch wenn ihre langen, dunklen Flechten strähnig herunterhingen.
    An das große Wagenrad gelehnt, lächelte sie ihre Besucher an. »Ich hatte Hilfe«, sagte sie heiser. Als sie auf Matthew Tracy herabblickte, wirkte sie nicht im Geringsten aufgeregt. »Aber meine Helfer sind wieder in den Busch zurückgekehrt.«
    »Schwarze?«, fragte Willie ehrfürchtig. »Schwarze haben Ihnen geholfen?« Kate nickte. Da warf Matthew den Kopf zur Seite, um seiner Mutter mitzuteilen, dass er für den Augenblick genug hatte.
    Die Frau des Kneipenwirts kniete sich neben Kate und bewunderte das Baby, das Willie hässlich und faltig vorkam. Nur eine Frau konnte ein Kind in diesem Stadium schön finden, dachte er kopfschüttelnd. Sein Lachen hallte über die Ebene, als er sich unter Freudenrufen mit seinem breitkrempigen Hut auf die Schenkel schlug. Kate ging es gut, und sie hatte endlich das Baby, nach dem sie sich so viele Jahre gesehnt hatte!
     
    Die Besucher verbrachten die Nacht bei ihnen. Am Morgen kehrten sie nach Julia Creek zurück. Kate bedankte sich, aber die Frau zeigte sich peinlich berührt und wollte nichts davon wissen. Für sie war es kein Gefallen gewesen, sondern ein Dienst, der für jeden in der Gegend selbstverständlich gewesen wäre.
    Willie spannte das Pferd vor den Wagen. Als er den Proviant prüfte, stellte er fest, dass Mehl, Zucker und Tee zum Großteil verschwunden waren. Kate erklärte ihm, dass sie den Aborigines zum Dank für ihre Freundlichkeit Lebensmittel geschenkt hatte. Als er diese Geste übertrieben nannte, sagte sie nur, für den Rückweg nach Townsville hätten sie genug.
    Ihre Entscheidung überraschte den jungen Mann zwar, aber im Grunde fühlte er sich erleichtert. Sie musste an ihr Kind denken, und der lange Weg, der vor ihnen lag, wäre selbst für einen gesunden Mann anstrengend gewesen, ganz zu schweigen von einer Frau, die soeben entbunden hatte.
    Aber Kate dachte nicht an Schonung, denn sie wusste, dass sie die Suche nach ihrem Ehemann ohne weiteres hätte fortsetzen können. Ihr war klar geworden, dass ihr Unterfangen vergeblich sein musste, denn ihr geliebter Mann war tot. In den frühen Morgenstunden war er zu ihr gekommen, während sie im ersterbenden Schein des verlöschenden Feuers schliefen. Er hatte auf der Ebene gestanden und sanft auf sie und ihr schlafendes Kind herabgelächelt. Im Geiste hörte sie seine sanfte Stimme, die ihr mit schleppendem amerikanischem Akzent riet, nach Townsville zurückzukehren. Ihre Suche war sinnlos, sagte er, denn er lag an einer einsamen Stelle, auf die man erst in vielen Jahren stoßen würde. Wenn man seine Knochen schließlich fand, würde

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