Auf den Flügeln des Adlers
der in den Augen des Volkes geradezu als Heiliger galt. Gordon Pascha durfte auf keinen Fall bei seinem Kampf gegen die Ungläubigen im Stich gelassen werden. Für die britische Öffentlichkeit befand sich die in den zu Ägypten gehörenden Sudan entsandte Streitmacht auf einem modernen Kreuzzug zur Verteidigung der Tugenden des Viktorianischen England.
Aber den beiden Koloniesoldaten, die in der Dunkelheit Kaffee tranken und sich unterhielten, bedeutete die moralische Empörung von Zivilisten, die wohlbehütet in Großbritannien saßen, wenig. Schließlich mussten diese nicht in die Schlacht ziehen und ihr Leben riskieren. Bei ihrem gedämpften Gespräch ging es um den nächsten Tag und nicht um die Werte eines heiligen Kreuzzugs. Für sie zählten praktische Aspekte, wie die Frage, wann sie zum nächsten Mal etwas zu essen bekommen, wie weit sie unter der glühenden Sonne marschieren und wie sich ihre Gewehre gegen die Waffen der Mahdi-Krieger behaupten würden.
Der zweite Mann, der nichts gesagt hatte, als Patrick in der Nähe war, stand MacDonald an Größe und Kraft in nichts nach. Er war nicht mehr jung und gehörte dem australischen Kontingent nur aufgrund seiner Kontakte zu dem großspurigen katholischen Politiker William Dalley aus Sydney an. Beziehungen dieser Art waren für einen einfachen irischen Streifenbeamten nicht ungewöhnlich, denn ein solcher Mann hörte und sah manchmal Dinge, von denen gesetzestreue Bürger nichts ahnten. So kam man zu unfreiwilligen, hoch gestellten »Freunden« und verschaffte sich Zugang zum Ohr des Premierministers. Constable Farrells intime Kenntnisse vom Kommen und Gehen dieser Herren in den Häusern der fleischlichen Lust hatten ihm aus einer heiklen Affäre geholfen, bei der es um gestohlenen Branntwein ging. Eine Expedition nach Übersee kam da gerade zum richtigen Zeitpunkt und schützte ihn vor den peinlichen Fragen, die man ihm in Sydney hätte stellen können. Nun war er Private Farrell. Aber der englische Offizier, der sie angesprochen hatte, hatte ein merkwürdiges Gefühl in ihm wachgerufen. Es kam ihm beinahe so vor, als wäre er dem Mann schon einmal begegnet – oder jemandem, der ihm stark ähnelte.
Während er seinem Kameraden zuhörte, starrte er angestrengt zu dem Offizier hin, dessen Silhouette sich vor dem nächtlichen Himmel abzeichnete. Verwirrt fragte er sich, warum ihn der englische Offizier, den er in der Dunkelheit gar nicht richtig gesehen hatte, an jemanden aus seiner trüben Vergangenheit erinnern sollte.
»Was meinst du dazu, Frank?«, fragte der andere.
Francis Farrell drehte sich um und starrte seinen Kameraden an. »Wozu?« Sein Bewusstsein befand sich noch halb in den Straßen Sydneys. »Ich hab nicht zugehört.«
»Schon klar, du hast ja den Offizier nicht aus den Augen gelassen.«
»Irgendwie hab ich das Gefühl, ihn schon mal getroffen zu haben«, erwiderte Farrell, während er den letzten Schluck Kaffee hinunterkippte. »Aber wahrscheinlich ist das nicht.« Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Vielleicht erinnert er mich nur an jemanden, den ich vor langer Zeit mal getroffen habe.«
Vor langer Zeit … Irgendwie schien die vage Erinnerung mit einer vor langer Zeit begangenen Gewalttat zu tun zu haben, einem Verbrechen, das nie gesühnt worden war.
»Sie sind spät dran, Captain Duffy«, tadelte Thorncroft schulmeisterlich. »Colonel Richardson hat sich bereits der rechten Flanke angeschlossen.«
Fast hätte sich Patrick für sein angeblich verspätetes Eintreffen bei der linken Flanke entschuldigt, doch er rief sich selbst zur Ordnung. Er kam absolut rechtzeitig. Der Weckruf war für ein Uhr angesetzt gewesen, und der Brigademajor hatte ihn angewiesen, sich um diese Zeit den Kolonialtruppen anzuschließen. »Ich werde mich bei Sonnenaufgang mit Colonel Richardson treffen, Captain Thorncroft«, erwiderte er gelassen, ohne auf die Arroganz seines Offizierskollegen einzugehen. »Mein Brigademajor hat mir diesbezüglich genaue Anweisungen gegeben.«
»Nun, Sie hätten unserem befehlshabenden Offizier die Höflichkeit erweisen können, ihn heute Nacht aufzusuchen, statt bis zum Morgen zu warten«, mäkelte Captain Arthur Thorncroft.
Da hielt es Private MacDonald nicht länger, er musste seinen Vorgesetzten verteidigen. Sein mit ruhiger Stimme vorgetragener Einwand verstieß gegen jegliches militärische Protokoll und kam für beide Offiziere überraschend. »Entschuldigen Sie, Sir, aber Captain Duffy ist vor ein
Weitere Kostenlose Bücher