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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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etwas sagen, aber Montgomery legte den Finger an die Lippen, löste die Fesseln und half ihm, den linken Schuh anzuziehen. Dann stellte er sich an die Wand, damit Tobey auf seine Schultern steigen und sich durch die Fensteröffnung ins Freie zwängen konnte. Von Montgomery an den Füßen festgehalten, glitt Tobey langsam kopfüber an der Außenmauer hinab zu Boden. Nachdem er stand, wollte er Montgomery helfen, aber da landete der Bonobo schon neben ihm, ergriff seine Hand und zog ihn über trockenes Gras zu einem Zaun, wo er in einer Lücke verschwand. Tobey kroch aufdem Bauch hinterher, folgte Montgomery durch eine leere, von Holzhütten und einfachen Steinhäusern gesäumte Straße, rannte humpelnd und geduckt an verlassenen Marktständen, Handkarren und klapprigen Lastwagen vorbei über einen Platz und merkte erst, als sie sich im Schutz einer schmalen, unbeleuchteten Gasse ausruhten, dass er schweißgebadet war und ihm vor Herzklopfen fast der Brustkorb zersprang. Sein Fuß tat weh, aber er achtete nicht auf den Schmerz. Nach Luft ringend, kauerte er neben einem mit Abfall gefüllten Blechfass und horchte in die Stille, in die sich das ferne Brummen von Dieselgeneratoren und das Bellen eines einsamen Hundes mischten. Kein Haus, kein Fenster war erhellt, Straßenlampen gab es nicht. Den Himmel nahm Tobey als schwarzes Tuch wahr, den Mond als feinen, krummen Riss, durch den fahles Licht fiel.
    Er schätzte die Zeit auf drei oder vier Uhr. Die Bewohner des Ortes würden bald aufstehen, zumindest die Fischer, deren Boote er gesehen hatte. Falls es nicht schon geschehen war, würde man spätestens bei Tagesanbruch seine Flucht entdecken und nach ihm suchen. Er wusste nicht, wie groß die Insel war, auf der sie sich befanden, aber dass sie viele Verstecke bot, bezweifelte er. Die MMP oder MPP hatte hier das Sagen und bestimmt zahlreiche Anhänger; in wenigen Stunden würde sich jeder von ihnen an der Suche nach ihm und Montgomery beteiligen. Fände man ihn, da war Tobey sicher, würde man kurzen Prozess mit ihm machen.
    Als er leicht gegen den Arm gestoßen wurde, zuckte Tobey zusammen. Montgomery erhob sich und rannte die Gasse hinunter, wobei seine an den langen Armen schlenkernden Hände den Boden aus lehmiger Erde berührten und der Kopf hinter dem gekrümmten Rücken verschwand, was ihn zum ersten Mal wie ein Tier aussehen ließ, obwohl er die dunkelblaue Uniform trug. Tobey folgte ihm hinkend, dann rannten sie nebeneinander über eine Kreuzung und ein staubiges Feld, an einem mit braunem Wasser gefüllten Kanal entlang und durch einen Palmenwald, wo Schweine und Kühe an Pflöcken angebunden waren und schläfrig die Köpfe hoben. Ein Hund kam ihnen gefährlich nahe und kläffte sie wütend an. Tobey warf Steine nach ihm, während Montgomery auf eine Palme kletterte und wartete, bis der Hund in einem der mit Bambuszäunen umfriedeten Hinterhöfe verschwand, die Teil einer armseligen Siedlung ausBretterverschlägen und Wellblechhütten waren. Andere Hunde fingen an zu bellen, und Tobey und Montgomery machten, dass sie wegkamen.
     
    Eine halbe Stunde später waren sie am Meer. Das erste Licht des Tages zog eine dünne, schwach leuchtende Trennlinie zwischen Wasser und Himmel. Der Strand war verlassen, es roch nach fauligem Tang und einem Feuer, dessen Rauch aus einer hinter Bäumen verborgenen Hüttensiedlung herüberwehte. Weit weg ankerten ein paar lange Holzboote, von der sanft heranrollenden Brandung kaum bewegt. Tobey und Montgomery setzten sich hin.
    »Wo ist Chester?«, fragte Tobey leise.
    Montgomery, die Unterlippe leicht vorgeschoben und die Augenlider halb gesenkt, saß da und starrte auf seine Hände. Seine Hose war schmutzig, das Hemd hatte einen Riss.
    »Was ist mit Chester?«, flüsterte Tobey. »Wo ist Rosalinda?«
    Montgomery sah Tobey an. Im Dämmerlicht war es schwer zu sagen, ob in seinem Blick Niedergeschlagenheit oder einfach nur Müdigkeit lag. Seine Hände ruhten auf der Erde wie etwas, das nicht zu ihm gehörte, aber die Finger bewegten sich, als träumte er.
    »Wie sollen wir von hier weg?« Tobey zeichnete ein Segelboot in den Sand. »Mit einem Boot?«
    Montgomery sah die Zeichnung an, und Tobey fragte sich, ob der Bonobo ihn verstanden hatte. Der Lichtstreifen am Horizont war inzwischen breiter geworden, bald würde die Sonne aufgehen. Tobey war klar, dass sie dann nicht mehr herumlaufen konnten, ohne entdeckt zu werden, und da Montgomery keinen Plan zu haben schien, hielt er es für

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