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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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das Beste, dem Strand ein Stück weit zu folgen, sich irgendwo zu verkriechen und die Nacht abzuwarten. In der Nähe des Strandes würde man sie wohl am ehesten suchen, überlegte er, und dass ein Wald oder Kokoshain in einem abgelegenen Teil der Insel vermutlich der sicherste Ort wäre, falls es abgelegene Teile auf dieser Insel überhaupt gab. Ohne Nahrung und Wasser würden sie es einen Tag und eine Nacht lang aushalten. Kokosnüsse enthielten eine nahrhafte Flüssigkeit, fiel ihm ein, aber auch, wie schwierig, ja fast unmöglich es war, eine Kokosnuss ohne das richtige Werkzeug zu öffnen. Er hob den Kopf und sah auf das Meerhinaus, sah den Schimmer, wo die Sonne im Verborgenen wartete wie eine atemberaubend schöne Schauspielerin auf ihren Auftritt. Er musste an Tanvir denken, der aller Wahrscheinlichkeit nach längst am Grund des Meeres lag, und an die Koffer, die dort draußen auf den Wellen schaukelten, gefüllt mit Erinnerungen und Träumen und Geld.
    Ein paar Vögel flogen über sie hinweg, aber Tobey war zu erschöpft, um sie zu beneiden. Montgomery berührte ihn am Arm und erhob sich, und Tobey tat es ihm gleich. Sie gingen im Gras, das zäh und schütter aus dem trockenen Boden wuchs, und wichen den sandigen Stellen aus, um keine Fußabdrücke zu hinterlassen. In einiger Entfernung sah Tobey eine Handvoll Holzhäuser auf Stelzen, und als in einem gelbes Licht aufflammte, rannte er geduckt auf eine Gruppe kahler Bäume zu, deren Stämme sich landeinwärts krümmten, wie gepeitscht von einem in einer anderen Zeit ruhenden Wind. Montgomery kauerte sich neben ihn und legte ihm eine Hand aufs Knie. Sie hörten das Scheppern eines Eimers und die Stimme eines Kindes, das etwas rief, einen Namen vielleicht. Weit weg sprang stotternd ein Dieselgenerator an, Hunde bellten, erst zwei, drei, dann eine ganze Meute. Das war das Ende der Nacht und möglicherweise der Beginn des letzten Tages seines Lebens, dachte Tobey. Als er in Montgomerys Gesicht sah, glaubte er darin den Ausdruck desselben Gedankens zu erkennen. Er griff nach der Hand des Bonobo und hielt sie eine Zeitlang fest, dann ließ er sie los und kroch zum Rand des mickrigen Wäldchens, das bei Tag als Versteck etwa so viel taugen würde wie der Marktplatz, den sie vor einer Weile überquert hatten.
    Keine zwanzig Meter entfernt hob sich ein Fels aus dem Dämmerlicht, nicht größer als eine liegende Kuh, von struppigem Gras und ein paar Büschen umgeben. Tobey vergewisserte sich, dass noch niemand in der Nähe war, rannte los und warf sich vor dem Fels auf den Boden. Er brach hastig ein paar Äste ab und sah schnell, dass in dem Raum zwischen dem Steinbrocken und dem Gestrüpp, an dem daumennagelgroße gelbliche Blätter wuchsen, nicht genug Platz für ihn und Montgomery war. Er stand auf und rannte weiter, in den Ohren die Geräusche aus der nahen Siedlung, wo die Menschen aus den Betten kletterten, sich wuschen, kochten, nach dem Vieh sahen. Die Vorstellung, dass vielleicht bald jedes Kind nach ihnen suchen würde, ließ ihn trotz der Schmerzen imFuß schneller rennen, obwohl er keine Ahnung hatte, wohin. Weit vorne sah er eine Hütte, aus deren Dach ein mit Seilen festgezurrter Mast ragte. Beim Näherkommen entpuppte sich die Hütte als solider, auf Steinsäulen stehender Bau aus blaugestrichenen Brettern und einem Dach aus rohem Wellblech. An dem Mast hing ein zerschlissener Fetzen schwarzen Stoffs, das Dach war gesprenkelt von Vogelkot oder den Überresten eines weißen Anstrichs. Die Fenster standen offen, löchrige Vorhänge bewegten sich im leichten Wind. Neben der Hütte lag ein Boot, ein langer, gelb und grün bemalter Kahn voller Seile und Bojen und Kisten aus grauem Kunststoff.
    Tobey schlich zu der vom Meer abgewandten Seite der Hütte, vor der zwei aus Holzresten gezimmerte Stühle und ein umgedrehtes, offenbar als Tisch umfunktioniertes Blechfass standen. Er kletterte vorsichtig auf einen der Stühle und sah durch ein Fenster in den Raum. Drei Betten füllten das kleine, düstere Zimmer fast gänzlich. In jedem lag ein Mann, halbnackt und schnarchend und die Glieder so verdreht, wie es nur Betrunkene zustande bringen. Bierflaschen, Zeitungen, Kleidungsstücke und Schuhe lagen zwischen den Betten auf einem Haufen, als sollte alles angezündet werden. Montgomery zupfte ihn am Hosenbein, worauf Tobey vom Stuhl stieg und mit ihm um die Hütte herum zum Boot ging. Farbeimer standen in Holzkisten, auf den Ruderbänken lagen Pinsel und Spachtel und

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