Auf den Inseln des letzten Lichts
gegangen war. In einer Mischung aus Sturheit und Stolz kümmerte er sich um die Kinder und den Hof. Er kaufte ein Buch, aus dem er lernte, wie man einen Säugling badete und wickelte, wie man Brei kochte und eine Flasche sterilisierte, was bei Kinderkrankheiten zu tun war und in welchem Alter von Windeln zum Topf gewechselt werden konnte. Als er nach einer Woche merkte, dass er kaum noch schlief und so alltägliche Verrichtungen wiedas Ausmisten des Stalles oder das Füttern der Schweine vergaß, holte er sich Hilfe. Nach der jungen Frau, die am Ende des Sommers ging, um in Galway als Krankenschwester zu arbeiten, kam Briona Fanning auf den Hof. Seamus mochte die große, stille Frau nicht, aber sie verlangte wenig Geld und war eine gute Köchin. Feargal Walsh meinte, es sei verantwortungslos, einer Mörderin zu vertrauen, aber Aidan hörte nicht auf ihn. Seine Frau hatte ihn verlassen und zum Gespött der Gegend gemacht; seiner Meinung nach konnte ihm nichts passieren, was schlimmer war.
Briona arbeitete gerne auf dem Hof. Während der Haft hatte sie angefangen zu zeichnen, erst aus dem Gedächtnis, etwa ihren Hund, der längst tot war, oder das Gartenhaus, in dem sie als Kind gespielt hatte, dann Dinge, die sie in ihrer Zelle sah: das Bett, die Vase, das Fenster. Später holte sie Bildbände aus der Gefängnisbibliothek und versuchte sich an Segelschiffen, Blumen, Tieren, dem Eiffelturm, der Freiheitsstatue. Dass Megan kaum etwas lieber tat als zu zeichnen, merkte Briona bald, und auch, dass das Mädchen Talent hatte. Sie hängte die Bilder an die Küchenschränke und die leere Wand über der Waschmaschine, damit Seamus sehen konnte, wie begabt seine Tochter war. Wenn sie den Wocheneinkauf machte, nahm sie gelegentlich eine Schachtel Buntstifte oder einen Malblock mit statt Tütensuppen und Büchsenbohnen. Von ihrem Lohn kaufte sie kleine Geschenke für Megan: einen Kugelschreiber mit vier verschiedenfarbigen Minen, einen Marderhaarpinsel, einen Aquarellkasten. Manchmal, nachts, wenn sie im Haus ihres Bruders im Bett lag, vermisste sie Megan. Dann machte sie noch einmal das Licht an, betrachtete eine Zeichnung des Kindes und lächelte.
Als sie klein waren, verbrachten Tobey und Megan viel Zeit miteinander. Wenn ihr Vater auf dem Feld und Briona noch nicht da oder schon wieder weg war, kümmerte sich Megan um ihren Bruder. Sie brachte ihm bei, wie man sich die Schuhe bindet, die Zähne putzt und ein Butterbrot schmiert, nahm ihn mit auf ihre Streifzüge und zeigte ihm Vogelnester, Dachsbauten und Ameisenhügel, weihte ihn in die Geheimnisse eines Bienenstocks ein und erklärte ihm, wie aus einer Raupe ein Schmetterling und aus einer Kaulquappe ein Frosch wurde. Wenn sie sah, dass er eine Spinne zertrat, stellte sie ihn zur Rede, und als er mit drei einem Maikäfer die Flügelausriss, zog sie ihn am Ohr, bis er aufheulte und Briona kam, um nach dem Rechten zu sehen. Sie begriff nicht, warum er darauf bestand, bei der Schlachtung eines Schweins dabei zu sein, und was ihn daran faszinierte, einem kopflosen, noch warmen Huhn die Eingeweide herauszunehmen. Sie aß kein Fleisch mehr, seit sie vier war, und wenn sie sah, wie er gierig ein halbes Dutzend Koteletts eines Schafs verdrückte, das am Vortag noch auf der Weide gestanden hatte, verließ sie die Küche, ging in ihr Zimmer und holte ein Foto hervor, das Tobey als Dreijährigen mit einer jungen Katze im Arm zeigte, was ihr half, ihm halbwegs zu verzeihen.
Megan konnte es kaum erwarten, alt genug zu sein, um zur Schule zu gehen. Mit Brionas Hilfe hatte sie sich Lesen und Schreiben beigebracht und konnte bis eintausend zählen. Mit sechs verschlang sie alles an Lesestoff, was ihr in die Finger geriet, egal, ob es ein Saatgutkatalog war oder die Bibel. Wenn sie in die Stadt fuhren, musste Seamus ihr bei Sheehan’s eine alte Ausgabe von Reader’s Digest oder National Geographic kaufen, und zum Geburtstag wünschte sie sich immer einen Naturatlas oder einen Bildband über Tiere. Wurde sie von Aidan oder Briona gefragt, was sie werden wolle, wenn sie erwachsen sei, antwortete sie: Tierärztin, Leiterin eines Tierheims, Naturfilmerin oder Zoodirektorin. Den letzten Berufswunsch strich sie wieder von der Liste, nachdem sie an ihrem fünfzehnten Geburtstag mit Onkel Aidan im Zoo von Dublin gewesen war und die eingesperrten Tiere gesehen hatte.
Manchmal, wenn Seamus seine Tochter beobachtete, wie sie Sam von ihren Erlebnissen am Teich erzählte oder einer Sau aus
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