Auf den Inseln des letzten Lichts
Carla Sarmiento.« Raske deutete auf die ältere Frau, die Megan mit unbewegtem Gesicht zunickte. Wo ihre Haut nicht von Stoff bedeckt war, leuchtete sie hell im trüben Licht des Speisesaals, vor dessen vier Fenstern Vorhänge wie Bettlaken vom leichten Wind der Deckenventilatoren bewegt wurden. Ihre ausgebleichte petrolfarbene Bluse war sauber, aber zerknittert, ihr schwarzes Haar schulterlang und von einem roten Tuch aus der Stirn geschoben. »Carla ist unsere Expertin auf dem weiten Gebiet der Kommunikation. Wie war doch gleich der Titel deiner Doktorarbeit?«
»Ist hundert Jahre her, hab ich vergessen.« Carla spießte mit der Gabel ein Stück Hühnerfleisch auf, schob es sich in den Mund und kaute lustlos. Sie hatte den Blick längst von Raske und Megan abgewandt und starrte demonstrativ auf ihren Teller, der mit Reis, Erbsen und einem Hühnerschenkel gefüllt war.
»Na ja, irgendwas über präpositionales Denken bei Menschenaffen jedenfalls.« Raske deutete auf die junge Frau. »Das ist Ester Bialskis, unsere Langzeitpraktikantin. Ester kommt aus Litauen.«
Megan und Ester nickten einander zu. Ester trug jetzt statt des weißen T-Shirts ein blaues, auf dem in weißen Lettern IPREC stand. Ihr Haar stand in starren Strähnen in alle Richtungen ab, und Megan fasste es in Gedanken an und spürte das Salz an den Fingerspitzen.
»Diesen Herrn kennen Sie ja bereits. Guillaume Malpass. Wenn Sie etwas über Gene und Stammzellen und Erbgut wissen wollen, fragen Sie ihn, er ist ein wandelndes Nachschlagewerk. Ein ziemlich umfangreiches, wie Sie sehen können.«
Malpass lächelte säuerlich und fuhr fort, mit der Gabel die Erbsen auf seinem Teller hin und her zu schieben.
»Setzen Sie sich.« Raske schob einen freien Stuhl vom Tisch weg.
Megan hängte den Rucksack an die Lehne und nahm Platz, während Raske zu einer Türöffnung am schmalen Ende des Raums ging, mit beiden Händen den Vorhang aus an Schnüren aufgereihten farbigen Holzkugeln auseinanderschob und etwas ins Dämmerlicht dahinter rief. Wasser floss in ein Spülbecken, ein Topfdeckel schepperte, und die helle Stimme einer Frau erklang, ein beinahe musikalisches Orgeln, das sich über kaum hörbare Geigenklänge aus einem Radio legte.
»Das Essen kommt gleich«, sagte Raske und nahm zwei Gabeln und zwei Messer aus einem Plastikbehälter, der auf einem Tisch an der Wand stand.
»Für mich bitte nur Reis und Gemüse«, sagte Megan.
»Mögen Sie kein Huhn?« Raske legte das Besteck auf den Tisch. »Es ist noch Rindereintopf da, von gestern.«
»Ich esse kein Fleisch.«
Raske schien eine Sekunde lang irritiert, sagte dann aber nur: »Gut. Kein Problem. Reis und Gemüse.« Er ging erneut zum Holzperlenvorhang und rief eine neue Anweisung in die Küche. Dann öffnete er zwei Flaschen Bier, die auf dem Tisch standen, setzte sich Megan gegenüber und schob ihr eine Flasche hin. »Aber Bier trinken Sie doch, oder?«
»Um die Zeit eigentlich nicht«, sagte Megan, griff nach ihrer Flasche und stieß mit Raske an.
»Willkommen auf der Affeninsel«, sagte Raske und zeigte sein breites Grinsen.
Später führte Raske Megan herum. Carla und Ester hatten während des Essens kaum geredet, und Malpass war irgendwann hinausgegangen, um zu rauchen. Die Köchin, eine junge, füllige Philippina, hatte sich kurz blicken lassen, und Raske hatte sie Megan als Rosalinda vorgestellt.
»Wie Sie sehen können, liegen unsere besten Jahre hinter uns«, sagte Raske und deutete auf ein blaugestrichenes Holzhaus, dessen schadhaftes Dach behelfsmäßig mit Plastikfolie abgedeckt war und vor dessen Tür eine Leiter lag. »Das war mal unser Besucherzentrum.« Er lachte, als habe er einen Scherz gemacht. »Wenn Gäste kamen, zum Beispiel Mitglieder des Stiftungsrates oder lokale Politiker, wurde ihnen dort erklärt, was wir hier machen. Unsere Forschungsobjekte durften sie auch sehen, aber nur ausgesuchte Exemplare, und auch die nur hinter dicken Glasscheiben.«
»Sie meinen die Primaten?«
»Genau.«
»Kann ich welche sehen?«
»Einen oder zwei, ja, das lässt sich machen.« Raske zeigte auf zwei Bauten aus Wellblech, groß wie Kirchenschiffe, die in einiger Entfernung zwischen mickrigen, verdorrt aussehenden Bäumen standen. »Das dort drüben war noch bis vor kurzem eine Werkstatt. Da, in der Halle, wo der Traktor steht. Der natürlich kaputt ist. Und das andere war ein Lagerschuppen.«
Sie folgten dem Weg ein Stück und ließen den Platz hinter sich, kamen an einen
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