Auf den Inseln des letzten Lichts
trotzdem, Liebchen.«
Von Carla leicht in die Seite gestoßen, trat Megan einen Schritt nach vorne. »Danke«, sagte sie und wusste nicht, ob sie die Hand ausstrecken oder einen Knicks machen solle. Schließlich trat sie einfach einen Schritt zurück.
»Ruben? Hol uns frische Limonade und noch zwei Gläser.« Nancy faltete umständlich die Zeitung zusammen. »Wir müssen anstoßen.«
»Ja, Ma’am.« Ruben reichte Chester und Wesley je eine Plastikschüssel voller Karotten- und Apfelstücke, drückte Nancys Kippe im Aschenbecher aus und eilte in den Nebenraum. Während Chester sich über seine Portion hermachte, als sei er am Verhungern, stellte Wesley seine Schüssel auf das Bilderbuch und ließ Megan nicht aus den Augen.
»Megan wollte sich Wesleys Fuß ansehen«, sagte Carla.
»Tanvir war gestern hier. Er meinte, es sei alles bestens damit.«
»Nur zur Sicherheit.« Carla schob Megan sanft in Richtung des Bonobos.
Megan ging vor Wesley in die Hocke. »Na, dann lass mal sehen«, sagte sie und hob den eingegipsten Fuß vorsichtig an. Wesley, den Blick noch immer auf Megan gerichtet, gab einen leisen klagenden Laut von sich.
»Simulant«, sagte Carla und strich Wesley über den Kopf.
Ruben brachte eine Karaffe mit Limonade: Wasser, in dem Zitronenscheiben und Eisstücke schwammen, sepiafarben vom braunen Zucker, der sich als dünne Schicht am Grund abgesetzt hatte.
Megan klopfte den Gips mit dem Zeigefingerknöchel der rechten Hand ab. Sie hatte noch nie einen Menschenaffen behandelt. Während des Studiums hatten sie die Klinik eines Zoos besucht und zugesehen, wie einem Gorillaweibchen in Vollnarkose ein Zahn gezogen wurde. »Wie lange ist der Gips schon drauf?«, fragte sie.
»Eine Woche«, sagte Carla. »Zehn Tage vielleicht.«
Wesley wimmerte ein wenig, als Megan an einigen Stellen gegen den Gipsverband drückte.
»Bewegt er sich viel?«
»Seit dem Unfall eigentlich kaum«, sagte Nancy. »Wenn er nicht schläft, sitzt er da und sieht sich Bilderbücher an.«
»Wie ist es passiert?«
»Er ist vom Baum gefallen.«
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, wollte Nancy wissen.
»Ich bin nicht sicher«, sagte Megan. »Ich würde den Gips gerne abnehmen und nachsehen.«
»Ach herrjeh«, sagte Nancy.
»Das machen wir am besten in der Krankenstation.« Carla gab Megan eines der Gläser, die sie von Ruben entgegengenommen hatte. »Salud.« Sie prostete Megan und Nancy zu.
»Es ist doch nichts Schlimmes, oder?« Nancy hielt ihr volles Glas in der einen und eine brennende Zigarette in der anderen Hand.
»Nein«, sagte Megan. Die Limonade schmeckte sauer, die Kälte kroch an ihren Schläfen hoch. Die Süße kam erst später, mit dem Bodensatz der Zuckerkristalle. »Nichts Schlimmes.«
Am Abend saßen sie zu viert am langen Tisch und aßen Bohneneintopf mit Reis. Malpass, der sich nie die Mühe zu machen schien, seine schlechte Laune zu verbergen, meinte, ab jetzt würde es wohl nur noch fleischlose Kost geben. Ester hatte verlegen gelächelt, wie man über einen peinlichen oder misslungenen Witz lächelt, und Carla hatte ihn gebeten, den Mund zu halten. Megan war gelassen geblieben; für sie war Malpass nicht mehr als der Schatten einer Wolke, etwas Dunkles, das sich für eine Weile auf die Dinge legte und wieder verschwand.
Carla sorgte dafür, dass viel Bier getrunken wurde, und stieß vor dem Nachtisch, der aus Papayapudding und Reiskeksen bestand, mit Megan auf das Du an. Daraufhin erzählte sie aus keinem nachvollziehbaren Grund die Geschichte eines Autounfalls, den sie wie durch ein Wunder unverletzt überstanden hatte. Malpass, der nur Sprite trank, meinte, die Geschichte sei erfunden, und steckte sich ein paar Kekse in die Hosentaschen.
Nach dem Essen schlug Carla vor, mit ein paar Flaschen Bier zum Strand zu gehen und, wie sie es formulierte, auf das verdammte Meer zu starren. Malpass fand die Idee töricht und zog es vor, in der Baracke zu bleiben; eine Entscheidung, die niemanden erstaunte. Ester packte das Bier in eine Kühlbox, und Megan half ihr beim Tragen. Carla, eine Wolldecke über der Schulter und eine Taschenlampe in der Hand, ging vor ihnen her. Bei jeder Wurzel, über die sie stolperte, fluchte sie lauthals auf Spanisch. Sie war eine Poetin des Zorns. Manchmal strauchelte sie und stieß einen Sermon von Verwünschungen aus, der so lang war, dass er nahtlos in den nächsten überging, wenn ein Hindernis sie erneut beinahe zu Fall brachte. Dabei war es nicht seelenlose Wut oder
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