Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
unkontrollierte Obszönität, was den Ton ihrer wüsten Lieder ausmachte; es war Ärger und Belustigung über die eigene Unbeholfenheit, eine Litanei aus Beschwörung, Tadel und Flehen. Father MacMahon hätte behauptet, auf ihre Art bete sie.
    Am Strand breiteten sie die Decke aus und setzten sich hin. Es war bewölkt, kein Stern zu sehen. Ein leichter Wind kam vom Meer und verlor sich über dem Sand, aus dem noch die Wärme des Tages stieg.
    »Sieh sich das einer an«, murmelte Carla. »All das Wasser.«
    Ester klappte den Deckel der Kühlbox auf.
    »Wie lange müsste ich wohl schwimmen, bis ich zu Hause wäre?«
    »Wo ist das?«
    »Buenos Aires.«
    »Lange.«
    Ester öffnete drei Bierflaschen und verteilte sie.
    »Was macht ihr eigentlich hier?«, fragte Megan, nachdem alle einen Schluck getrunken hatten. »Ich meine, was gibt es denn noch zu tun auf der Insel?«
    Carla streifte ächzend die Schuhe ab. »Nichts«, sagte sie.
    »So gut wie nichts«, sagte Ester.
    »Wir warten.«
    »Worauf?«
    »Auf etwas, das uns von hier verschwinden lässt.« Carla trank die halbe Flasche leer und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    Ester erhob sich und ging ein paar Schritte auf das Meer zu. Sie hob etwas auf, betrachtete es und ließ es fallen. Die Wellen brachen sich nicht, sie sackten einfach zusammen und ließen Schaumbläschen im Sand zurück, die geräuschlos platzten.
    »Und warum bist du hier?«, fragte Carla nach einer Weile. »Was hat dich auf diese gottverlassene Insel verschlagen?«
    »Das Übliche«, sagte Megan. »Eine kaputte Ehe, die Worte eines alten Mannes, Abenteuerlust.«
    »Zwei Motive sind mir vertraut. Wer ist der alte Mann?«
    »Jeffrey Salter.«
    »Nie gehört.«
    »Er schreibt.«
    »Was denn?«
    »Alles Mögliche. Vor allem philosophische Texte. Aber nicht nur. Eins seiner Bücher heißt ›Der Truthahn. Eine Tragödie‹. Ist in einem kleinen Uni-Verlag in Vermont erschienen.«
    »Truthahn?«
    »Ja. Wie aus einem Küken ein Fünfkilobraten wird. Dazu die ökologischen, sozialen und ethischen Aspekte der Fleischproduktion in Amerika. Im Schlusskapitel behandelt er die Frage, ob Tiere Gefühle haben.«
    »Natürlich haben sie das.«
    »Das glaube ich auch, aber der Standpunkt ist sehr umstritten.«
    »Idioten, die das anzweifeln. Ich hatte zwei Kater, einen schwarzen und einen grauen. Brüder. Unzertrennlich. Wenn der eine nach einem Nickerchen aufwachte und der andere war nicht da, fing er an durch die Wohnung zu rennen und zu schreien. Erst wenn er seinen Bruder gefunden hatte, war er beruhigt. Als der Schwarze starb, hat der Graue tagelang nicht gefressen. Irgendwann ist er verschwunden. Für immer.« Carla drehte sich auf den Rücken. »Bestimmt liegen jetzt beide da oben. Eng umschlungen. Für immer glücklich.«
    Megan trank ihre Flasche leer und steckte sie mit dem Hals voran in den Sand zwischen ihren Füßen. Die Brandung hörte sich an wie ein in weiter Ferne und sehr langsam vorbeirollender Güterzug, der mit Christbaumschmuck beladen war.
    »Und, kann sie repariert werden?«
    »Was?«
    »Die kaputte Ehe.«
    Megan lachte, schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, ich bin längst geschieden.«
    »Du weißt es nicht?«
    »Nein.« Megan legte sich hin, schloss die Augen.
    Eine Weile schwiegen die beiden Frauen. Sie hörten, wie Ester Treibholz auf einen Haufen warf.
    »Hat Thor, also Raske, hat er dir gesagt, dass es IPREC ziemlich mies geht?«
    »Ja. Außerdem ist es ja nicht zu übersehen.«
    Carla rollte sich zur Seite und streckte stöhnend die Hand nach der Kühlbox aus, um zwei Flaschen herauszunehmen. Sie öffnete die Flaschen, gab eine Megan, nahm einen langen Schluck und legte sich wieder auf den Rücken. »Eigentlich ist das alles hier ein Witz.«
    »Stimmt es, dass es mal ein Versuchsprogramm mit zwanzig Primaten gab?«
    »Ist schon eine Weile her. Damals floss das Geld noch reichlich.«
    »Was für Geld?« Megan setzte sich auf, trank einen Schluck Bier. Sie sah, wie Ester den Holzhaufen anzündete, wie der Schein der Flammen ihr Gesicht aus der Dunkelheit löste.
    »Keine Ahnung. Thor hat die Finanzen geregelt. Jedenfalls hatten wir damals alles, was wir brauchten.«
    »Und warum jetzt nicht mehr?«
    »Die Zeiten sind schlecht.«
    »Wer bezahlt euch?«
    »Nancys Stiftung.« Carla sah zum Feuer hinüber, von dem kaum Rauch aufstieg. Weißglühende Funken stoben aus ihm heraus, wirbelten durch die Luft und erloschen.
    »Was machst du mit dem Geld?«, fragte Megan. »Ausgeben

Weitere Kostenlose Bücher