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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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geräuschvoll aus. »Er und Thor streiten sich nur noch. Irgendwas braut sich da zusammen.«
    »Dann ist es doch gut, wenn er geht.«
    »Hier löst sich alles auf, Megan.«
    »Wir werden sehen.« Megan lud sich eine Banane auf einen Teller und aß ein Stück. Der Zucker war fast karamellisiert, das Fleisch der Banane mit Rum getränkt.
    »Ich bleibe noch bis zum nächsten Zahltag. Drei Wochen. Überleg es dir, ja?« Carla schob ihre rechte Hand über den Tisch, als wollte sie Megan berühren, aber dann griff sie nach einer Papierserviette und wischte sich den Mund ab.
    Megan schwieg. Sie horchte auf die Musik aus der Küche, hohe, langgezogene Töne, ein Cello, eine Oboe, an- und abschwellend wie die Gesänge von Walen.
    »Sag bitte Thor nichts von meinen Plänen.«
    Megan nickte.
    Carla erhob sich und ließ die zerknüllte Serviette auf ihren Teller fallen. »Ich gehe zum Strand. Kommst du mit?«
    »Vielleicht später.«
    Carla nahm zwei Flaschen Bier vom Tisch. »Bis dann«, sagte sie und ging hinaus. Die Tür fiel hinter ihr zu und ihr Kopf war für einen Momenteingehüllt in kaltes weißes Licht und ein Schneegestöber aus wirbelnden Insekten.
    Megan aß die restlichen Bananen und trank zwei Tassen Kaffee dazu. Eine Weile hoffte sie, Rosalinda würde sich zu ihr setzen, aber die Köchin ließ sich nicht blicken. Sie trank das letzte Bier, das warm geworden war. Die Mückenstiche hatten aufgehört zu jucken. Ihr Körper fühlte sich schwer und unbeweglich an, ihr Kopf leicht vom Koffein, ein Ballon, festgebunden an einen Berg. Es war, als vibrierten die Spitzen ihrer Zeigefinger vom Schlagen auf die Schreibmaschinentasten. Sie dachte an die Blätter, die unter der Matratze in ihrem Zimmer lagen. Zweihundert Seiten. Ein Teil ihrer Kindheit, ein Bruchstück ihres Lebens, vielleicht die Hälfte eines Buches. Alles und nichts. Als sie durch den Holzperlenvorhang spähte, sah sie Rosalinda am Boden knien und mit einer Bürste und schäumendem Seifenwasser die Fliesen schrubben. Das Radio spielte Opern, Arien füllten jeden Winkel des Raumes. Vielleicht war ein Satz von ihr weniger wert als ein einziger Ton dieser Musik, dachte sie, eine Seite weniger als ein Akkord.
    Sie wollte nicht nachdenken, verließ die Baracke und rannte über den Platz. Der langsame Wechsel vom Abend zur Nacht vollzog sich gerade, die letzten Flecken aus Helligkeit färbten sich dunkelblau. Aus allem verschwand die Kraft der Farben, es gab kein Leuchten mehr, kein Funkeln und Flimmern. Trotzdem kühlte die Luft nicht ab.
    Als Megan das Meer sah, blieb sie stehen. Sie konnte Carla erkennen, die mit dem Rücken zu ihr im Sand saß. Noch war der Himmel heller als das Meer und fiel am Horizont fahlgelb auf das Wasser. Es gab keine Wolken, nur übereinandergeschichtete Lagen verfärbter Luft, in denen zusehends das letzte schwache Glühen des Sonnenuntergangs verblich. Das monotone Rollen der Wellen beruhigte Megan ein wenig. Nachdem sie genug Atem geschöpft hatte, drehte sie sich um und ging zurück. Sie ließ die Gebäude der Station hinter sich und schlug den Weg zur Villa ein.
     
    Mit der breiten Treppe und den erleuchteten Fenstern, wie es in seiner befremdlichen Größe und Schönheit im Abendlicht stand, sah das Haus beinahe herrschaftlich aus. Megan ging zur Rückseite und schlich zu den Holzstufen, die auf die Veranda führten. Jetzt hörte sie auch die Musik,die undeutliche Stimme eines Sängers, kratzende Geigen, blecherne Trompeten, ein scherbelndes Schlagzeug. In dem Zimmer, in das sie blickte, standen bis auf zwei Stühle und einen runden Tisch keine Möbel. Ein paar Matten und Kissen lagen auf dem Boden, verschieden große Bälle, ein Tennisschläger, mehrere farbige Kegel. An den Wänden hingen Springseile, Hula-Hoop-Ringe, Gummibänder, eine Zielscheibe. Ein leerer Krug und drei Plastikbecher nahmen die Tischfläche ein.
    Megan ging vorsichtig weiter, blieb neben dem nächsten Fenster stehen, wartete eine Weile und spähte dann in den Raum, den sie als das Klassenzimmer erkannte. Auf den Tischen lagen Bücher und Hefte, die Wandtafel war bedeckt mit kindlichen Kritzeleien, aus einer offenen Truhe ragte eine Plastikschaufel, ein gelbes T-Shirt hing über der Rückenlehne eines Stuhls.
    Bevor Megan zum letzten Fenster ging, hörte sie Rubens Stimme. Sie verstand nicht, was der Junge rief, vermutete aber, dass es Nancy Preston galt. Sie bewegte sich zurück und drückte sich gegen die Wand. Wenig später wurde die Eingangstür

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