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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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geöffnet und wieder geschlossen. Schritte ertönten auf dem Verandaboden, die klickenden Laute von Hundekrallen auf Holz. Megan duckte sich hinter das Geländer und hoffte, Ruben und der Labrador würden die Treppe nehmen und sich vom Haus entfernen. Tatsächlich schlugen die beiden den Weg in Richtung Wiese ein und waren bald zwischen den Bäumen verschwunden.
    In der Sekunde, in der Megan die Hand auf den Türgriff legte, verstummte drinnen die Musik, ertönte aber nach kurzer Zeit erneut. Megan wartete einen Moment, betrat dann das Haus und schloss leise die Tür hinter sich. Die Musik schien aus dem Raum zu kommen, in dem Nancy Preston sich die meiste Zeit aufhielt. Nach ein paar Takten merkte Megan, dass Nancy die Platte nicht gewendet hatte; noch einmal sang der Mann mit nasaler Stimme von einem Tag am Meer, von Segelbooten und Sonnenschein. Megan stieg die Treppe hoch und öffnete die erstbeste Tür. Der Duft schweren Parfüms wehte ihr entgegen. Obwohl Teppiche den Holzboden bedeckten und ihre Schritte gedämpft hätten, betrat Megan das Zimmer nicht. Neben einem breiten Bett brannte auf einem Tisch eine Lampe mit geblümtem Schirm. Aus einem Ledersessel wuchs ein krummer Turm aus Zeitungen. Karaffen, Puderdosen, Porzellanfiguren,Brillenetuis, gerahmte Fotos, eine Schale voller Schmuck standen auf einer Kommode. An der Wand über dem Bett hing ein großes Bild, das so dunkel war, dass Megan nichts erkennen konnte. Im diffusen Licht des angrenzenden Raums sah sie Kleider an Bügeln und Reihen von Schuhen.
    Hinter der nächsten Tür befand sich das Bad mit Wanne und Waschbecken. Ein Hausmantel aus dunkelblauer Seide hing neben einem Spiegel. Der Raum daneben stand leer, sah man von einem Korbstuhl und zwei gerollten und verschnürten Teppichen ab. Das letzte Zimmer war das von Ruben. Megan zog die Schuhe aus und ging hinein. Die Deckenlampe, eine aus Rohr geflochtene und mit Papier bespannte Kugel, warf ihr Licht auf ein Bett, einen Schrank, einen Stuhl und einen Tisch. Eine gefaltete, mit Haaren bedeckte Wolldecke lag am Boden, darauf ein zerkautes Stofftier. Die Wände waren kahl, nur über dem Kopfende des Bettes prangte ein klobiges Kruzifix aus dunklem Holz. Megan öffnete den Schrank, in dem Hosen und Hemden und zwei blaue Blazer hingen und in mehreren Regalen Unterwäsche, Socken und T-Shirts lagen. Neben dem Schrank standen auf Hochglanz polierte schwarze Halbschuhe am Boden, vor dem Bett Pantoffeln aus kariertem Stoff. Auf dem Tisch lagen ein Heft, mehrere Stifte und eine Schere. Die meisten Seiten waren aus dem Heft herausgetrennt worden und die verbliebenen leer. Megan stellte den Stuhl vor den Schrank, auf dem nichts war, nicht einmal Staub. Sie hob mit beiden Händen die Matratze hoch und fand zwei flache, in Plastiktüten gewickelte Pakete.
    Sie setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken ans Bett und öffnete eines der Pakete. Als erstes hielt sie das T-Shirt in den Händen, das ihr vor ein paar Tagen am Strand gestohlen worden war, braun mit weißem Aufdruck. Es war nicht gewaschen worden und roch schwach nach Schweiß und Seife und Meer. Sie faltete es auseinander und betrachtete die geschwungenen Lettern des Schriftzugs auf der Vorderseite: BARNABY & PHELBS BOOKSHOP LONDON. Darunter stand, in kleinerer, schnörkelloser Schrift: BUY & SELL. In dem Kellerladen im East End hatte sie zwei Jahre lang jeden Monat zwischen zehn und zwanzig Bücher gekauft. Der Besitzer, der weder Barnaby noch Phelbs, sondern Lipshiz hieß, liebte seinen Beruf und betrachtete es als Herausforderungund großes Vergnügen, für einen Kunden ein seltenes oder vergriffenes Werk aufzuspüren. Megan hätte gerne mehr über den alten Mann erfahren, der sehr viel Tee trank und sich mit einer kleinen geschnitzten, an einem Bambusstock befestigten Holzhand den Rücken kratzte, aber er war immer so in seine Arbeit versunken gewesen, ständig in Kataloge und Zeitungen und Telefongespräche vertieft, dass sich nie der passende Moment für ein Gespräch ergab. Vielleicht war er inzwischen gestorben, dachte sie, und ein Anflug von Trauer und Wehmut drückte ihr sekundenlang die Brust zusammen.
    In der Plastiktüte befanden sich außerdem ein Stapel Blätter und ein kleiner durchsichtiger Frischhaltebeutel mit einem flachen Kranz zusammengerollter Haare, den Megan nicht herausnehmen musste, um zu wissen, dass er aus dem Abfluss ihrer Dusche stammte. Bei den Blättern handelte es sich um die fehlenden Seiten aus dem Heft.

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