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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Stirn. »Das war nicht schön, was?« Er versuchte es mit einem Lächeln. Seine Zähne leuchteten, zwei makellose Reihen.
    »Nein.«
    »Trotzdem, es war eine Ratte.«
    »Es war ein Lebewesen. Warum legen Sie kein Gift aus?«
    »Haben Sie mal eine Ratte gesehen, die an Gift stirbt?«
    Megan senkte den Blick, schüttelte den Kopf. In ihrem Magen war ein Klumpen. Sie wollte sich in den Sand legen und ein Bier trinken. Und dann noch eins.
    »Sie sind auf einer Farm aufgewachsen. Gab es da keine Mäuse?«
    »Doch. Aber meinem Vater war das egal. Er fand, das bisschen Getreide sei es nicht wert, einen Krieg zu führen.«
    Raske lachte. »Scheint bei Ihnen in der Familie zu liegen. Tierliebe.« Vielleicht hatte er dem letzten Wort einen leisen spöttischen Unterton verliehen, vielleicht auch nicht.
    Megan zuckte mit den Schultern. Die Finger, zwischen denen die Hälse der Bierflaschen hingen, begannen zu schmerzen, die gezackten Kronenkorken schnitten ins Fleisch.
    »Haben Sie jemals ein Tier getötet, Megan?«
    »Ich zertrete unabsichtlich Ameisen, verschlucke Mücken.«
    »Sie wissen, was ich meine. Sie haben studiert.«
    »Wir haben an Präparaten geübt, falls Sie das meinen.«
    »An Fröschen?«
    »Die nicht mehr lebten.«
    »Könnten Sie ein Tier töten? Wenn es der Forschung dienen würde. Sagen wir, eine Labormaus. Sie muss sterben, damit Menschen leben.«
    »Ich wollte Tierärztin werden, nicht Wissenschaftlerin.«
    »Sie hätten Tiere einschläfern müssen. Hamster. Hunde. Pferde.«
    »Ich bin es ja nicht geworden.«
    »Kann es sein, dass Sie naiv sind, Megan? Möglicherweise auch ein bisschen feige?«
    »Weil ich mein Studium abgebrochen habe?«
    »Weil Sie sich weigern, Tatsachen zu akzeptieren.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    Raske blickte Megan in die Augen, schien nachzudenken, bevor er antwortete: »Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen.« Er lächelte und hob in einer gespielt bedauernden Geste die Arme. Dann drehte er sich um und ging zurück zur Baracke, über der wie Nebel weißes Licht hing.
    Eine Weile sah Megan Raske nach. Schließlich folgte sie dem Pfad in Richtung Meer. Als sie das schmale Band aus Vegetation erreichte, das den Strand von der grasbewachsenen Ebene trennte, setzte sie sich hin. Sie öffnete eine Bierflasche, indem sie den Verschlussdeckel der einen an dem der anderen ansetzte und mit einer Hebelbewegung ablöste. Tobey hatte ihr den Trick gezeigt, damals mit Colaflaschen. In wenigen Zügen trank sie das Bier aus, erhob sich und ging weiter.
    Von Carla fehlte jede Spur. Megan kletterte auf einen der Felsen und rief nach ihr, aber der Strand war leer. Nach einer Weile war das Gefühl von Einsamkeit in ihr abgeklungen und sie sprang in den Sand. An einer Felskante öffnete sie die drei Bierflaschen und legte sich hin. Der Anblick der Sterne ließ sie die Wut auf Raske beinahe vergessen. Siefragte sich, woher er wusste, dass sie auf einem Bauernhof aufgewachsen war. Auf der Insel hatte sie zwei Menschen gegenüber etwas von ihrer Herkunft erwähnt: Tanvir und Ester. Im Internet konnte Raske nichts über sie gefunden haben. Sie hatte ihren Namen nie in eine Suchmaschine eingegeben, aber sie war sicher, dass es keine Einträge zu ihrer Person gab. Vielleicht, dachte sie, hatte Raske bei der Verwaltung in Killorglin angerufen und ihre ehemalige Adresse erfahren. Sie stellte sich vor, wie er mit dem Satellitenauge von Google Earth auf Irland blickte, auf Kerry, wie er Straßen und Wege aus der Unschärfe auftauchen sah, endlose Hügel und Felder und Wiesen und zuletzt den Hof, die drei Gebäude, den Teich, den Baum, dessen Schatten Sams Grab bedeckte. Dann kam ihr der Gedanke absurd vor. Dieser riesige Aufwand, nur, um etwas über sie herauszufinden. Jemand musste es ihm erzählt haben. Tanvir oder Ester.
    Sie trank, bis alle Flaschen leer waren. Bis die Sterne sich bewegten. Bis aus dem Brandungsgeräusch das friedliche Schnarchen eines riesigen Tieres wurde. Bis ihr die Augen zufielen.
     
    Es war beinahe dunkel in dem Kellerraum. Sogar vor den Fenstern, durch die man den Gehsteig hätte sehen können, Schuhe und halbe Beine, standen Bücher. Da und dort brannte eine Lampe, eine Höhle aus Licht in den verwinkelten Schluchten. Manchmal fielen schwere ledergebundene Wälzer aus einem Stapel, lösten sich wie Brocken aus einer Felswand und krachten zu Boden. Megans Aufgabe war es, diese Bücher zurück an ihren Ort zu stellen, aber für jedes Exemplar, das sie aufhob,

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