Auf den Inseln des letzten Lichts
Tag, als er Megan half, ihn herzurichten. Er schien nie krank zu sein, nie auch nur leicht angeschlagen. Sollte er sich in der Zeit, die Megan bisher auf der Insel war, irgendeine Verletzung zugezogen haben, hatte er sie vermutlich selbst behandelt. Oder er ging zu einem Arzt auf dem Festland. Einmal brachte er ihr die Kopie einer Banküberweisung, die bewies, dass Megans Gehaltszahlung ausgeführt worden war. Dabei war ihr die Bandage an seinem Unterarm aufgefallen, die der Hemdsärmel nur unzureichend bedeckte. Von ihr darauf angesprochen, hatte er etwas von einer Schürfwunde erzählt, harmlos und schon fast verheilt, nicht der Rede wert.
Auch Nancy Preston nahm Megans ärztliche Dienste nie in Anspruch. Sie erfreute sich einer erstaunlichen Robustheit, und litt sie doch einmal an einem eingewachsenen Zehennagel oder einer Augenentzündung, ließ sie sich von Tanvir behandeln. Anders als der Rest des Stationspersonals, vertraute sie auf die medizinischen Fähigkeiten ihres Freundes und hielt ihm die Treue. Ruben, von dem Megan noch immer nicht sagen konnte, ob er Nancys Diener, Zögling, Ersatzenkel oder alles in einem war, blieb ebenfalls Tanvirs Patient, was Megan angesichts der wirren Gefühle, die der Junge offenbar für sie hegte, durchaus gelegen kam.
Nach mehreren Wochen Dauerregen und dem Abtippen der letzten fünfzig Seiten eines ersten Entwurfs des Buches erinnerte sich Megan an den Grund, aus dem sie auf die Insel gekommen war, und besuchte Nancy in der Villa. Ruben machte ihr die Tür auf und ließ sich danach nicht mehr blicken. Ob er ahnte, dass Megan das gestohlene T-Shirt in den Schrank gehängt hatte, konnte sie nicht sagen, aber es bereitete ihr ein heimliches, von Mitleid nur wenig geschmälertes Vergnügen, ihn noch immer so verwirrt zu sehen. Sie erzählte Nancy, wie viel es ihr bedeuten würde, beider Arbeit mit den Primaten helfen zu dürfen, und bot sich an, jeden Tag ein paar Stunden mit Chester und Wesley zu spielen und Nancy beim Unterrichten zur Hand zu gehen.
In Rauch gehüllt und gleichermaßen Autorität und Güte ausstrahlend, thronte Nancy in ihrem Sessel und genoss sichtlich die Tatsache, dass jemand mit einer Bitte an sie herantrat. Sie trug ein knöchellanges Kleid, das aus unzähligen briefmarkengroßen Goldplättchen gefertigt schien, einen Armreif, eine Halskette und Ohrschmuck mit Bernsteinkugeln, schwarze Strümpfe und an den Füßen flache geschlossene Goldlackschuhe, auf denen wie Libellen zwei mit goldener Spitze verzierte Maschen saßen.
Nachdem Megan ihr Anliegen vorgetragen hatte, schwieg Nancy eine Weile. Sie ließ Ruben herbeieilen, indem sie eine kleine Glocke läutete, und bestellte Kaffee. Dann faltete sie die Hände, tat einen tiefen, im Innersten ihrer Lungen feucht knisternden Atemzug, lehnte sich zurück, als ermüdete sie bereits der Gedanke an das zu Sagende, und hob zu einem Vortrag an, in dessen Verlauf sie ihre erste Landung auf der Insel Revue passieren ließ, von den unbeschwerten Tagen der Forschungsarbeit schwärmte, den allmählichen Niedergang der Station beklagte und nach fast einer Stunde mit der nüchternen Betrachtung des Bildes endete, wie es sich heute bot. Von einer wissenschaftlich fundierten Arbeit mit den Primaten könne schon lange keine Rede mehr sein, erklärte sie mit erstaunlicher Sachlichkeit. Die gelegentlichen Unterrichtseinheiten dienten nur noch dazu, Chester und Wesley ein wenig zu beschäftigen und ihrer geistigen Abstumpfung entgegenzuwirken. Nelson sei schon seit Jahren für nichts anderes mehr zu gewinnen als für simple Spiele, Ausflüge an den Teich und stundenlangen Videokonsum, was zum Teil auch an Jay Jays mangelnder Qualifizierung und Arbeitsmoral liege. Sie lobte Tanvir, der sich seit dem Abzug der Spezialisten Montgomerys angenommen hatte und durch viel Aufmerksamkeit und regelmäßige Übungen die Intelligenz des Bonobos nicht nur vor dem Verkümmern bewahrte, sondern sogar weiter steigerte.
Zuletzt dankte sie Megan für ihr Angebot, lächelte wie eine schillernde Göttin der Großzügigkeit und erlaubte ihr, jeden zweiten Nachmittag vorbeizukommen, um mit Chester und Wesley eine Stunde im Spielzimmerzu verbringen. Dann erklärte sie die Audienz für beendet, indem sie gähnte, die Schuhe abstreifte und die Füße auf den gepolsterten Schemel legte, der vor ihrem Sessel stand. Megan bedankte sich pflichtschuldig, stieg über den Hund und ging in den Garten, wo Chester und Wesley, von Ruben aus der Ferne
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