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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Rubinho, vierzehn oder fünfzehn.«
    »Seit wann liegt er schon hier?«
    »Ich wollte nach dem Frühstück mit ihm raus«, sagte Ruben. »Er aber nicht. Es regnete, und ich dachte, er hat keine Lust.«
    »Warst du gestern mit ihm spazieren?«
    »Ja, am Abend, als es gerade mal nicht regnete.«
    »Hat er heute gefressen?«
    »Am Morgen. Ein wenig.«
    Nancy setzte sich in den Sessel und legte eine der beiden Zigaretten in den gläsernen Aschenbecher, der neben einem Kaffeekrug und einer Tasse auf dem Tisch neben ihr stand. »Sehen Sie nur, er dirigiert.«
    Der Labrador bewegte die Vorderläufe, langsam, wie im Traum.
    Nancy fing an zu weinen, hörte aber gleich wieder auf und ging zum Grammofon, um den Deckel zu entfernen.
    »Ich hole meine Tasche.« Megan strich dem Hund über den Kopf. »Dann werden wir sehen, was ich tun kann.« Sie erhob sich. »Bleib bei ihm und streichle ihn, ja?«
    Ruben nickte und kraulte das Fell des Labradors noch fester.
    »Ich beeile mich.« Megan verließ den Raum und ging durch den Flur. Musik drang hinter ihr aus dem Wohnzimmer, eine Geige, eine Trompete. Sie öffnete die Tür, nahm zwei Treppenstufen auf einmal und trat hinaus in den Regen, der nicht mehr aus großen schweren Tropfen bestand, sondern zum dichten Sprühen geworden war, das ein leichter Wind in ihre Richtung trieb.
    Sie rannte die ganze Strecke. Der Boden war ein einziger Sumpf, in Pfützen hockten Frösche. Einmal rutschte sie aus und fiel hin. Sie fluchte, weil sie wusste, dass der Hund nicht in der nächsten halben Stunde sterben würde und es sowieso nicht viel gab, was sie für ihn tun konnte. Beim Laborgebäude angekommen, war sie außer Atem und vom Schlammreingewaschen. Jay Jay und Nelson sahen sich einen Dokumentarfilm über Wirbelstürme an, jedenfalls flogen auf dem Bildschirm Hausdächer und Werbetafeln durch die Luft, als Megan einen Blick in den düsteren Raum warf. Sie schloss die Tür zum Behandlungszimmer auf, suchte ein paar Dinge zusammen, die Ruben vielleicht die Illusion vermitteln würden, dem Hund könne geholfen werden, und packte alles in eine Arzttasche. Am Griff der Tasche hing, mit einem roten Geschenkband befestigt, eine Karte, auf der in Raskes Schrift KUNSTLEDER! stand. Megan riss sie ab, verließ den Raum und sperrte die Tür zu. Im Flur öffnete sie jede Tür und suchte nach einem Regenschirm, fand aber keinen und machte sich ohne auf den Weg zur Villa.
     
    Am frühen Abend hörte es auf zu regnen. Als würde langsam ein schmutziges Tuch weggezogen, zeigte der Himmel ein immer größeres Stück Helligkeit. Noch war er bleigrau und dunkelte im Westen, wo die Nacht wartete, bereits wieder ab, und noch wuchsen einzelne Wolken aus ihm heraus wie Stockflecken aus einer feuchten Wand, aber Regen fiel aus ihm nicht mehr.
    Trotzdem hatte Megan einen Schirm dabei, als sie in der Dämmerung auf Raskes Haus zuging, um die Nachricht vom Tod des Hundes zu überbringen und Raske in Nancys Namen zu bitten, auf dem Festland einen Labradorwelpen zu besorgen, wieder einen hellbraunen Rüden. Der Boden schmatzte unter ihren Füßen, überall flossen Bäche, versickerten Rinnsale. In einer trüben Lache wimmelten Kaulquappen, Wasserflöhe, Larven und winzige Krebse. Reiher stocherten im Morast der Wiesen nach Futter und erhoben sich, von Megan gestört, mit wenigen Flügelschlägen in die seltsam klare Luft. Zikaden rieben ihre klammen Beine aneinander.
    Ein Teil des Kiesbelages war von den Wegen ins Gras, in die Beete und bis vor die Haustür geschwemmt worden. Blätter lagen herum und Äste, vom Regen abgeschlagene Blüten trieben im braunen Wasser eines Grabens, der zwischen Büschen verschwand. Im Lichtschein der Eingangslampe sonnte sich ein bleicher Gecko.
    Megan wollte gerade klingeln, da hörte sie die Stimme. Sie ließ die Hand sinken und lauschte. Von überall her drang das Knistern der Erde,durch die das Wasser lief, das Gurgeln verborgener Flüsse. Plötzlich erklang Musik, so leise, dass Megan erst nicht wusste, ob es die Töne eines Klaviers waren oder das Klimpern fallender Tropfen. Als eine Trompete dazukam, ein Bass und schließlich das Schlagzeug, drehte sie den Knauf, doch die Tür war verschlossen. Sie ging um das Haus herum und suchte nach einer zweiten Tür, die es nicht gab. Auf der Rückseite standen Bäume mit nassen glänzenden Stämmen und Blättern so groß wie zwei Handflächen. Dazwischen, auf dem Teppich aus Laub, lagen rote, wie Kirschen aussehende Früchte, deren fauliger

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