Auf den Inseln des letzten Lichts
mit einem rostigen Vorhängeschloss gesicherte Kette, die das Boot mit einem der aus dem Wasser ragenden Pfosten verband. Eine Weile stand sie da und betrachtete das etwa zweihundert Meter weit draußen liegende Schiff, dann zog sie Hemd, T-Shirt und Hose aus, wickelte die Taschenlampe und die Schuhe darin ein und legte sich das Paket auf den Kopf. Sie stieg ins Wasser, watete ins Tiefe und begann zu schwimmen. Je weiter sie sich vom Ufer entfernte, desto ruhiger wurde das Meer, und obwohl sie mit einer Hand das Bündel festhalten musste, kam sie gut voran.
Beim Schiff angelangt, ergriff sie mit der freien Hand die Ankerkette und ruhte sich aus. IPREC stand in großen schwarzen Lettern auf dem Bug. Sie sah nach oben zur Reling, die zwei, drei Meter über ihr war. Aus dem Stahlbauch drang kein Geräusch, nur das Schwappen des Wassers war zu hören, das Schaben der Kette und das Ächzen des Schiffskörpers, der sich im Wellengang hob und senkte. Megan zog sich an der Kette ein Stück weit aus dem Wasser, warf das Bündel auf das Deck und wartete. Als nichts passierte, sammelte sie ihre ganze Kraft und kletterte an der Kette hoch, aber die Metallglieder waren so glatt, dass sie ständig abrutschte. Schließlich gab sie auf und schwamm um den Bug herum auf die andere Seite. Am Heck war das Schiff mit einem Tau an einer Boje befestigt, die, so vermutete Megan, von einem Stahlseil und einem am Meeresgrund ruhenden Betonklotz gehalten wurde. Das Tau war dort, wo es ins Wasser hing, glitschig, wurde jedoch weiter oben trocken und griffig, und als Megan das Ende erreicht hatte, schwang sie ein Bein über die Reling, zog sich mit beiden Armen hoch und ließ sich aufs Deck gleiten.
Sie blieb einen Moment liegen, um zu verschnaufen, erhob sich dann und suchte das Kleiderbündel. Sie fand es neben einer Strickleiter und zog sich an. Die Lichter stammten von drei an der Reling festgemachten, weiß schwelenden Solarleuchten und zwei Lampen im Steuerhaus, die Megan an Land als gelbe Striche wahrgenommen hatte. Jetzt, wo sie sich an Bord befand, erschien ihr das Schiff kleiner als aus der Entfernung. Im kalten Licht der Solarleuchten kam es ihr fast unwirklich vor, irgendwie schäbig,eine billige Kopie der Schiffe aus ihrer Kindheit. Wenn ein Fischkutter in der Dingle Bay ein Stahlschrank war, war das hier eine Keksdose. Bis auf einen kümmerlichen und offensichtlich nutzlosen Mast am Bug fehlte jegliche Takelung. Das Steuerhaus war aus Holz, der Boden, auf dem sie sich bewegte, dünn und an einigen Stellen durchgerostet. Im Steuerhaus, dem überall die weiße Farbe abblätterte und an dessen Wänden ineinander verschlungene und mit Isolierband umwickelte Kabel hingen, führte eine Treppe in den Bauch des Schiffes. Megan schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete in das schwarze Loch, aus dem ihr der Geruch nach Diesel und Meerwasser entgegenschlug. Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, hielt sie sich mit der freien Hand am Geländer fest und stieg die Stufen hinab.
Unten fand sie sich in einem schmalen Gang wieder, den auf beiden Seiten hellgrau gestrichene Stahlwände begrenzten. Hinter einer offenen Tür befand sich ein Lagerraum, halb gefüllt mit notdürftig festgezurrten Metallkisten und Fässern aus blauem Kunststoff. Weder die Kisten noch die Fässer waren beschriftet. Im gegenüberliegenden Raum standen zwei Feldbetten, auf denen nackte Matratzen und gefaltete Wolldecken lagen. Auf einer aus der Wand geklappten und mit Ketten fixierten Tischplatte stand eine Flasche, die als Aschenbecher benutzt worden war. Aus einer vergitterten Schachtöffnung in der Decke wehte Frischluft herein. Megan hob ein Stück Pappe auf, das sich als flachgetretene Schachtel für Gewehrmunition Kaliber ∙22 entpuppte.
Zurück auf dem Gang ging sie in Richtung Heck, und nach ein paar Metern erfasste der Strahl der Taschenlampe eine Tür, hinter der sich der Maschinenraum befand, ein finsteres, nach Diesel stinkendes Loch, dessen Boden mit einem Film aus Öl und Dreck überzogen war. An den Wänden hingen schmierige Lappen, Schraubenschlüssel und in Plastikfolie eingeschweißte technische Zeichnungen. Megan wusste nichts von Motoren, aber sogar sie konnte erkennen, dass es an ein Wunder grenzte, wenn das scheinbar aus lauter Ersatzteilen zusammengebastelte Ungetüm vor ihr in der Lage wäre, den Schiffspropeller anzutreiben.
Die beiden Räume im Bug waren klein und dienten als eine Art Besen- und Vorratskammer. Im einen wurden
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