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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Anstrengung, Schweißperlen traten auf seine Stirn.
    »Gibt es einen Friedhof auf der Insel?«
    »Einen Friedhof? Nein. Bisher ist hier niemand gestorben.«
    »Auch keine Primaten?«
    »Doch. Sie wurden verbrannt. Aber ihre Asche wurde nicht … nun ja, nicht beigesetzt.«
    »Ich finde, die Station sollte einen Friedhof haben.«
    Tanvir stieß ein langgezogenes Stöhnen aus. »Bauen Sie ein Hospital, und plötzlich werden alle krank. Legen Sie einen Friedhof an, und auf einmal sterben die Leute.« Er wechselte die Matratze auf die andere Schulter und sagte kein Wort mehr, bis sie vor dem Besucherzentrum standen.
     
    An einem sonnigen Tag wirkte der Raum mit dem Boden aus hellen Steinfliesen, den gemauerten, teilweise mit Bambus- und Holzpaneelen verkleideten Wänden und der hohen Decke groß, aber jetzt, im Licht der Petroleumlampe, die von einem der freiliegenden Dachbalken herunterhing, wirkte er winzig. In einer Ecke standen ein Tisch, ein Regalmöbel und zwei leere Vitrinenschränke. Auf dem Tisch lagen kaputte Bilderrahmen und von der feuchten Luft gewellte Briefbögen und Notizzettel. Vor einer weißgetünchten Wand stapelten sich Pappkisten voller IPREC-Broschüren, darüber erinnerten helle runde Flächen an die Stellen, wo einmal Uhren die Zeit auf den fünf Kontinenten angezeigt hatten. Darunter waren noch immer die Schilder mit den Städtenamen angebracht: Manila. Dallas. London. Dakar. Sydney.
    »Sie könnten auch in einem der Räume im Laborgebäude schlafen«, sagte Tanvir. »Oder bei uns. Da ist es zwar eng, aber wenigstens gemütlich.«
    Megan ließ das Bündel aus Bettzeug auf die Matratze fallen, die Tanvir in die Mitte des Raumes gelegt hatte. »Nein, danke. Das ist nett, aber ich …«
    »Schon in Ordnung. Sie wollen lieber alleine sein.«
    Megan nickte. Montgomery schlang einen Arm um ihr Bein, und sie fuhr ihm sanft über den Kopf.
    »Es tut mir sehr leid, dass Sie gehen.«
    »Ja. Mir auch.«
    »Ich werde unsere Gespräche vermissen.«
    Megan sah Tanvir an. Sie wollte ihn fragen, warum er den Leuten unterschiedliche Lebensgeschichten erzählte und ob er sie auch belogen hatte, aber dann erschien es ihr nicht mehr wichtig. »Also dann«, sagte sie und streckte die rechte Hand aus. »Gute Nacht.«
    Nach einem Moment des Zögerns ergriff Tanvir Megans Hand und drückte sie. »Gute Nacht.«
    Megan ging in die Hocke, legte zwei Finger an ihre Lippen und dann auf Montgomerys Mund. »Gute Nacht.«
    Der Blick des Bonobos traf sie wie eine Welle, die ihr den Boden unter den Füßen wegriss, sie für den Bruchteil einer Sekunde hochhob in Helligkeit und wieder nach unten warf auf einen lichtlosen schwankenden Grund. Montgomery gab einen Laut von sich, der in ihren Ohren betrübt klang und vielleicht enttäuscht, dann senkte er den Kopf, wandte sich ab und ging zur Tür.
    »Wir sehen uns morgen«, sagte Tanvir. Einen Augenblick blieb er noch stehen, als überlegte er, wie er Megan trösten könnte, dann folgte er Montgomery, hinter dem schon die Tür zugefallen war.
     
    Megan hatte eine Schmerztablette geschluckt und danach zwei Stunden geschlafen. Jetzt saß sie im Schein der Petroleumlampe auf der Matratze und versuchte, einen Brief an Tobey zu schreiben, aber der bevorstehende Abschied von der Insel ließ sie keinen klaren Gedanken fassen. Nachdem sie eine halbe Heftseite mit Unsinn gefüllt hatte, zerknüllte sie das Blatt und warf es in eine Ecke. Sie holte das Seepferdchen hervor und betrachtete es eine Weile, dann steckte sie es in eine der Außentaschen des Rucksacks, den Montgomery nur nach langem Zureden abgenommen hatte.
    Die Nacht war nicht mehr sternenklar, als sie vor die Tür trat. Eine dünne Wolkendecke hielt das wenige an Helligkeit zurück, das der Mond vor kurzem noch verbreitet hatte. Megan holte die Taschenlampe, steckte die Tabletten ein und machte sich auf den Weg zum Strand. Den verstauchten Fuß spürte sie überhaupt nicht mehr. Die Wirkung des Schmerzmittels hielt an und machte sogar ihren Kopf leicht und jede Empfindung angenehm stumpf.
    Schon von weitem sah sie in der Küchenbaracke Licht brennen und hörte Carlas Stimme und die von Malpass. Die beiden stritten sich. Carla klang betrunken und Malpass müde und gereizt, immer wieder fielen Wörter und Sätze auf Spanisch und Französisch. Megan hätte gerne mit Carla geredet und etwas gegessen, aber der Gedanke, Malpass auch nur eine Minute lang ertragen zu müssen, hielt sie davon ab. Um von den beiden nicht gesehen zu

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