Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
Schlangen!). Wovor hast du Angst, Toto? Dass du so einsam wirst wie Seamus, so traurig wie Cait? Dass wir uns nie mehr wiedersehen? Dass wir uns wiedersehen? Soll ich dir ein Foto von mir schicken, willst du wissen, wie ich jetzt aussehe, elf Jahre später? Bist du bereit für die Auflösung des großen Geheimnisses, Toto, kleiner Bruder? Nein, das bist du nicht. Zeit vergehen lassen. Warten. Seamus hat auf dich gewartet. Vergeblich. Cait hat auf mich gewartet. Umsonst. So verbringen wir unsere Leben. Wir verpassen uns, wir gehen aneinander vorbei auf dem Zickzackweg unserer unendlichen Suche. Wir vermissen uns. Wir meiden uns. Hast du geweint am Grab von Seamus? Wenn ja: Worüber hast du geweint? Über die vergeudeten Jahre? Über die Worte, die zwischen euch gefallen sind? Über die unausgesprochenen Worte? Über die Tatsache, dass er fort ist, zu weit weg, um dich noch hören zu können? Ich habe geweint, nachdem ich Cait gesehen habe. Das Licht im Supermarkt soll glücklich machen – mich deprimiert es zutiefst. Ich habe die Fähre zurück nach London genommen (Sinken statt Abstürzen) und in meiner Wohnung festgestellt, dass der Handschuh weg war. Ihr weißer Handschuh mit den schwarzen Flecken (Wellies Fell), den sie auf dem Parkplatz des Supermarkts verloren hat. Was ist das Wichtigste, das du jemals verloren hast, Tobey? Bin ich das? Ich wünsche es mir. Dir nicht.
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    9
     
    Am nächsten Tag erwachte Tobey kurz nach Sonnenaufgang. Er trank die Wasserflasche leer, ging ins Bad, wusch sich und zog sich an. Er holte das Messer aus dem Versteck hinter dem Boiler und schob es unter den Stoffstreifen an der Wade. Als er auf dem Rattanstuhl saß und die Schnürsenkel band, bemerkte er, dass die Deckplatte der Kommode an einer Ecke einen kleinen Spalt aufwies. Er hob das daumendicke Brett vorsichtig an, und da es nicht befestigt war, nahm er es ganz weg und legte es auf den Boden. Unter der Platte kam staubiges Sperrholz zum Vorschein, eingefasst von auf den Kommodenrahmen genagelten Kanthölzern. Tobey holte Toilettenpapier, machte es feucht und wischte den Staub von dem Sperrholz. Die Lücke zwischen der Sperrholz- und der Deckplatte betrug etwa zwei Zentimeter, genügend Platz für alle Briefe von Megan, den Pass und fünfzehn Hundertdollarnoten. Den Pass hatte er in einem der Koffer in einer Packung aufbewahrt, in der einmal ein Fertiggericht gewesen war und die er, damit sie sich echt anfühlte, teilweise wieder mit Reis gefüllt und zugeklebt hatte. Das Geld war, auf zwei Bündel verteilt und in Folie gewickelt, unter den Einlegesohlen der Schuhe versteckt gewesen, aber er fand, es sei Zeit für einen neuen Aufbewahrungsort. Er fragte sich, ob Tanvir den Pass entdeckt hatte, bezweifelte es aber, weil die Tüte unversehrt aussah. Er legte sich auf das Bett und dachte über seinen Gastgeber nach. Der scheinbar so freundliche Mann hatte ihn, was das bärtige Kind betraf, belogen, und wenn es um Megan und die Umstände ihres Todes ging, erschien er Tobey auch nicht sehr glaubwürdig. Er tastete nach dem Messer, erhob sich und verließ das Zimmer.
    Jay Jay saß auf dem Sofa beim Kühlschrank und las in einer Illustrierten, die sich in ihre Bestandteile auflöste. Tobey nickte ihm zu, und JayJay nickte zurück. Als Tobey bei der Tür war, hörte er Jay Jay pfeifen. Es klang wie das Zwitschern des Vogels, der am Morgen im Baum vor Tobeys Fenster saß. Als er sich umdrehte, verstummte Jay Jay und hob die Illustrierte vor das Gesicht.
     
    Rosalinda stand am Herd und schob kleingeschnittenes Gemüse von einer Holzplatte in einen Topf. Chester hockte neben ihr am Boden, hielt mit einer Hand ihren Rocksaum fest und mit der anderen eine Karotte. Das Radio war an, die Musik klang, als spielte eine Militärkapelle Tango. Tobey grüßte die Köchin auf Tagalog. Er hatte Phrasen wie Guten Tag , Auf Wiedersehen und Danke auf dem Flug von London nach Manila auswendig gelernt und wusste sogar, wie man sich in der Landessprache nach dem nächstgelegenen Krankenhaus oder einem Arzt erkundigte. Rosalinda drehte sich nicht einmal nach ihm um. Sie rührte im Topf, legte geräuschvoll einen Deckel darauf und öffnete dann einen der beiden Kühlschränke.
    Tobey ging zum Tisch, auf dem ein halber Laib Brot und ein paar Bananen lagen. Chester sah zu ihm hoch, kauend und mit abwesendem Blick, die Finger der linken Hand noch immer in den Saum von Rosalindas Kleid gekrallt. Rosalinda stieß die

Weitere Kostenlose Bücher