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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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beschimpft.« Er fuhr sich mit der Hand mehrmals über die Glatze, wie um sich zu trösten.
    »Dann war hier keiner mehr außer Ihnen, als Megan ankam?«
    Tanvir schien nachzudenken. Er legte die Hand auf die Armlehne und sah einer Motte zu, die über den Hitzestrahl der Lampe segelte und auf den Tisch fiel, den versengten Bauch nach oben und mit den Beinen rudernd, immer langsamer. Er nippte am Gin, räusperte sich. »Nein«,sagte er endlich, »nur ich war hier. Und die andern, die Sie ja kennengelernt haben.«
    Eine Weile schwiegen die beiden. Das raschelnde Geräusch der Insektenflügel war zu hören, im Hintergrund das beständige Brummen und Zirpen, das aus den Bäumen stieg und das Tobey schon fast nicht mehr wahrnahm, wie er das Sirren eines Kühlschranks irgendwann nicht mehr wahrnahm.
    »Wonach forschen Sie?«, fragte er in diese vermeintliche Stille hinein.
    Wieder lachte Tanvir auf, wieder nur kurz, als amüsierte ihn die törichte Frage eines Kindes. Der Gin schien ihn gleichermaßen heiter und melancholisch zu stimmen. »Nicht einmal mehr nach dem Sinn des Lebens, Tobey.«
    »Warum sind Sie dann noch hier?«
    »Betrachten Sie mich als den Nachlassverwalter eines aufgelösten Betriebs.«
    »Und wer bezahlt Sie?«
    »Die Stiftung. Es ist bald kein Geld mehr da, aber noch reicht es, wenn man keine großen Ansprüche stellt.«
    Tobey trank die restliche Cola. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er ein starkes Verlangen nach Whisky. Er saß auf einer Insel, die zu klein war, als dass eine handelsübliche Karte sie verzeichnet hätte, er wusste nicht, ob er sich als Gefangenen oder Gast betrachten sollte und ob das, was Tanvir ihm erzählte, die Wahrheit oder gelogen oder irgendetwas dazwischen war. Er streckte den Arm aus und zerdrückte die halbtote Motte mit dem Daumen. Dann stand er auf und trat ans Geländer. Eine Handvoll Sterne blinkte über ihm, der Mond war nicht zu sehen.
    »Wonach wurde geforscht, als noch Leute hier waren?«
    »Einfach formuliert ging es darum, die Kommunikation zwischen Menschen und Primaten zu verbessern, sie möglicherweise in eine neue Dimension zu führen.«
    »Montgomery und Chester können reden?«
    »Nun ja, nicht reden. Sie verständigen sich mit uns. Sie benutzen Handzeichen und Kärtchen, auf denen Dinge abgebildet sind. Früher hatten wir noch Computer, virtuelle Wörterbücher, mobile Tastaturenmit Symbolen, aber das ist lange her. Jetzt üben wir kaum noch mit den beiden. Chesters Kommunikationsfähigkeit hat sich dadurch zurückgebildet. Montgomery verfügt hingegen noch immer über einen beachtlichen Wortschatz. Mit ihm kann man tatsächlich so etwas wie eine Unterhaltung führen.«
    »Aber ist das nicht eine Sensation?«
    Tanvir nickte. Er machte ein nachdenkliches Gesicht, sein Blick ruhte auf dem Glas in seiner Hand, das inzwischen leer war. »Und ob«, sagte er. »Montgomery könnte ein berühmter Mann sein.«
    »Sie auch.«
    Tanvir gluckste, dann rieb er sich seufzend die Glatze. »Soll ich mit ihm durch die Welt tingeln? Von Universität zu Universität, von Talkshow zu Talkshow?« Er sah Tobey an, schüttelte den Kopf. »Nein. In beider Interesse.«
    Tobey betastete den Verband am Hinterkopf. Die Wunde juckte ein wenig. Auf der Colabüchse saß eine Fliege, die träge davonflog, als er die Büchse schüttelte. »Wie ist Megan auf die Insel gekommen?«
    »So wie Sie, mit einem Boot.«
    »Was für einem Boot?«
    »Das entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht waren es die Männer, deren Dienste Sie in Anspruch genommen haben, Fischer, die sich ein kleines Zubrot verdienen, indem sie abenteuerlustige Kinder auf einsamen Inseln absetzen.« Tanvir lächelte und hob die Hand. »Verzeihen Sie, ich bin ein alter Mann, ich betrachte alle Menschen unter vierzig als Kinder.«
    »Hat Sie vorher mit Ihnen Verbindung aufgenommen, gefragt, ob man hier Verwendung für sie hat?«
    »Nein. Sie ist einfach gekommen. Genau wie Sie.«
    »Wer hat ihr von der Insel erzählt?«
    »Auch da bin ich überfragt. Wer hat Ihnen von der Insel erzählt?«
    »Megan. In einem Brief.«
    »Den sie von hier abgeschickt hat?«
    Tobey sah in das dunkle Raster aus Stämmen. Er verspürte Lust, die Büchse dagegenzuschleudern, stellte sie dann aber nur auf das Geländer. Das Gespräch hatte ihn ermüdet, er wollte duschen und sich auf das Bettlegen und schlafen, traumlos und lange. »Was für eine Quallenart, sagten Sie, hat Megan getötet?«
    »Die genaue Spezies habe ich Ihnen nicht genannt.

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