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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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schwollen die Forderungen unerträglich an, und wenn der Pächter den Erpresser-Brief am Pfosten leuchten sah, dann hieß es zahlen oder außer Lan- des gehen. Zwar hatte mancher auch auf Wider- stand gesonnen, und in solchen Fällen war es zur Plünderung gekommen, die offensichtlich nach überlegtem Plane vor sich ging.
     Es pflegte dann Gesindel, das unter Führung von Leuten aus den Wäldern stand, nachts vor den Höfen zu erscheinen, und wenn der Einlaß ihm verweigert wurde, schränkte es die Schlösser mit Gewalt. Man nannte diese Banden auch die Feuer-Würmer, denn sie gingen die Tore mit Balken, auf denen kleine Lichter glühten, an. Von andern wurde dieser Name dahin ausgedeutet, daß sie nach geglücktem Sturme den Leuten mit Feuer zuzusetzen pflegten, um zu erfahren, wo das Silber verborgen war. Auf alle Fälle hörte man von ihnen das Niederste und Un- terste, des Menschen fähig sind. Dazu gehörte auch, daß sie, um Schrecken zu erregen, die Leichen der Ermordeten in Kisten oder Fässer packten; und solche unheilvolle Sendung wurde dann mit den Frachten, die aus der Campagna kamen, den An- gehörigen ins Haus gebracht.
     Weitaus bedrohlicher erschien jedoch der Um- stand, daß alle diese Taten, die das Land erregten und nach dem Richter schrien, kaum noch Sühne fanden — ja, es kam so, daß man von ihnen nicht mehr laut zu sprechen wagte, und daß die Schwäche ganz offensichtlich wurde, in der das Recht sich gegenüber der Anarchie befand. Zwar hatte man gleich nach Beginn der Plünderungen die Kom- missarien entsandt, die von Piketts begleitet waren, doch hatten diese die Campagna bereits in offenem Aufruhr angetroffen, so daß es zur Verhandlung nicht gekommen war. Um nun scharf einzuschnei- den, mußten nach der Satzung die Stände ein- berufen werden, denn in Ländern, die wie die Ma- rina von alter Rechtsgeschichte sind, verläßt man ungern den richterlichen Weg.
     Bei diesem Anlaß zeigte sich, daß die von der Campagna auch in der Marina schon vertreten waren, wie denn seit jeher die zurückgekehrten Städter teils eine Klientel von Hirten beibehielten, teils auch durch Bluts-Trunk sich in die Sippen- bünde gliederten. Auch diese Bande folgten nun der Wendung zum Schlimmeren, und dort besonders, wo die Ordnung schon brüchig war.
     So blühten dunkle Konsulenten auf, die vor den Schranken das Unrecht schützten, und in den klei- nen Hafenschenken nisteten die Bünde sich offen ein. An ihren Tischen konnte man nun Bilder wie draußen an den Weidefeuern sehen — da hockten alte Hirten, die Beine mit rauhem Fell umwunden, neben Offizieren, die seit Alta Plana auf Halbsold saßen; und alles, was zu beiden Seiten der Marmor- Klippen an mißgelauntem oder auf Veränderung erpichtem Volke lebte, pflegte hier zu zechen und schwärmte wie in dunklen Stabs-Quartieren aus und ein.
     Es konnte die Verwirrung nur vermehren, daß auch Söhne von Notabeln und junge Leute, die die Stunde einer neuen Freiheit gekommen glaubten, an diesem Treiben sich beteiligten. So gab es Lite- raten, die begannen, die Hirtenlieder nachzuahmen, wie man sie bisher nur von den Ammen, die aus der Campagna kamen, an den Wiegen hatte lallen hö- ren, und die man nun, anstatt in wollenen und lei- nenen Gewändern in Zotten-Fellen und mit der- ben Knüppeln auf dem Corso wandeln sah.
     In diesen Kreisen wurde es auch üblich, den Bau der Rebe und des Kornes zu verachten und den Hort der echten, angestammten Sitte im wilden Hirtenland zu sehen. Indessen kennt man die leicht ein wenig qualmigen Ideen, die die Begeisterten ent- zücken, und man hätte darüber lachen können, wenn es nicht zum offenen Sakrileg gekommen wäre, das jedem, der nicht die Vernunft verloren hatte, ganz unverständlich war.

                           10.
    In der Campagna, wo die Weidepfade die Gren- zen der Bezirke überschnitten, sah man häufig die kleinen Hirten-Götter stehen. Diese Hüter der Marken waren ungefüge aus Steinen oder altem Eichenholz geschnitzt, und man erriet sie schon von ferne am ranzigen Geruch, den sie verbreiteten. Die hergebrachte Spende nämlich bestand in heißen Güssen von Butter und Gekröse-Schmeer, wie ihn das Opfer-Messer zur Seite schiebt. Aus diesem Grunde sah man um die Bilder auch stets die schwar- zen Narben von Feuerchen im grünen Wiesengrund. Von ihnen hegten die Hirten nach dargebrachter Gabe ein verkohltes Stengelchen, mit dem sie zur Nacht der Sonnen-Wende den Leib von allem, was

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