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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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trächtig werden sollte von Weib und Vieh, mit einem Male zeichneten.
     Wenn wir den Mägden, die vom Melken kamen, an solchem Ort begegneten, dann zogen sie das Kopftuch vors Gesicht, und Bruder Otho, der Freund und Kenner der Garten-Götter war, ging nie vorüber, ohne ihnen einen Scherz zu weihen. Auch schrieb er ihnen ein hohes Alter zu und nannte sie Gefährten des Jupiter aus seiner Kinderzeit.
     Dann war da noch, unweit des Filler-Hornes, ein Vorgehölz aus Trauer-Weiden, in dem das Bildnis eines Stieres mit roten Nüstern, roter Zunge und rotbemaltem Gliede stand. Der Ort galt als ver- rufen, und die Kunde grausamer Feste war mit ihm verknüpft.
     Wer aber hätte glauben mögen, daß man den Schmalz- und Buttergöttern, die den Kühen die Euter füllten, nun an der Marina zu huldigen be- gann. Und das geschah in Häusern, wo seit langem über Opfer und Opferdienst gespottet war. Dieselben Geister, die sich für stark genug erachtet hatten, die Bande des alten Ahnen-Glaubens zu zerschneiden, wurden so vom Zauber barbarischer Idole unter- jocht. Das Bild, das sie in ihrer Blendung boten, war widriger als Trunkenheit, die man am Mittag sieht. Indem sie zu fliegen wähnten und sich dessen rühmten, wühlten sie im Staub.
     Ein schlimmes Zeichen lag auch darin, daß die Verwirrung auf die Toten-Ehrung übergriff. Zu allen Zeiten war an der Marina der Stand der Dich- ter hoch berühmt. Sie galten dort als freie Spender, und die Gabe, den Vers zu bilden, wurde als die Quelle der Fülle angesehn. Daß die Rebe blühte und Früchte trug, daß Mensch und Vieh gediehen, die bösen Winde sich zerstreuten und heitre Ein- tracht in den Herzen wohnte — das alles schrieb man dem Wohllaut zu, wie er in Liedern und Ge- sängen lebt. Davon war auch der kleinste Winzer überzeugt, und auch nicht minder davon, daß der Wohllaut die Heilkraft birgt.
     So arm war keiner dort, daß nicht das Erste und Beste, das sein Garten an Früchten brachte, in die Denker-Hütten und Dichter-Klausen ging. So konnte jeder, der sich berufen fühlte, der Welt im Geist zu dienen, in Muße leben — zwar in Armut, doch ohne Not. In Hin und Wider jener, die den Acker bauten und das Wort bestellten, galt als Vor- bild der alte Satz: das Beste geben die Götter uns umsonst.
     Es ist ein Zeichen guter Zeiten, daß in ihnen die Geistesmacht auch sichtbar und gegenwärtig wirkt. So war es hier; im Wechsel der Jahreszeiten, des Götterdienstes und des Menschenlebens war kein Festtag möglich ohne das Gedicht. Vor allem aber stand dem Dichter bei den Totenfeiern, nachdem der Leichnam eingesegnet war, das Amt des Toten- richters zu. Ihm lag es ob, auf das entschwundene Leben einen göttergleichen Blick zu tun und es im Vers zu preisen, so wie ein Taucher aus der Muschel die Perle hebt.
     Seit Anbeginn gab es zwei Maße für die Toten- Ehrung, von denen das übliche das Elegeion war. Das Elegeion galt als Spende, die dem rechtlich in Bitterkeit und Freude zugebrachten Leben ziemte, wie es uns Menschen zugemessen wird. Sein Ton war auf die Klage abgestimmt, doch auch voll Sicher- heit, wie sie dem Herzen im Leiden Trost gewährt.
     Dann aber gab es das Eburnum, das im Alter- tume den Erlegern der Ungeheuer, die vor der Men- schen-Siedlung in den Sümpfen und Klüften hausten, vorbehalten war. Das klassische Eburnum mußte in höchster, erlauchter Heiterkeit gehalten sein; es hatte in der Admiratio zu enden, während deren aus zerbrochenem Käfig ein schwarzer Adler in die Lüfte stieg. In dem Maße, in dem die Zeiten sich milderten, erkannte man das Eburnum auch jenen, die man die Mehrer oder Optimalen nannte, zu. Wer nun zu diesen zählte, dessen war das Volk sich stets bewußt gewesen, obgleich mit der Verfeinerung des Lebens sich auch die Ahnenbilder wandelten.
     Nun aber erlebte man zum ersten Male, daß um den Spruch der Totenrichter Streit entstand. Es drangen nämlich mit den Bünden auch die Blut- rache-Fehden der Campagna in die Städte ein. Wie eine Seuche, die noch unberührten Boden findet, so schwoll auch hier der Haß gewaltig an. Nachts und mit niederen Waffen drang man aufeinander ein, und das aus keinem anderen Grunde, als weil vor hundert Jahren der Wenzel durch den Jegor er- schlagen worden war. Doch was sind Gründe, wenn die Verblendung uns ergreift. So ging bald keine Nacht vorüber, in der die Wache nicht auf den Stra- ßen und bei den Quartieren auf Tote stieß, und man- chen traf man mit Wunden, die des Schwertes nicht

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