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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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würdig sind — ja selbst mit solchen, mit denen die blinde Wut den schon Gefallenen zerstückt.
     In diesen Kämpfen, die zu Menschenjagden, Hinterhalten und Mordbrand führten, verloren die Parteien jedes Maß. Bald hatte man den Eindruck, daß sie sich kaum noch als Menschen sahen, und ihre Sprache durchsetzte sich mit Wörtern, die sonst dem Ungeziefer galten, das ausgerottet, vertilgt und ausgeräuchert werden soll. Den Mord ver- mochten sie nur auf der Gegenseite zu erkennen, und dennoch war bei ihnen rühmlich, was dort als ver- ächtlich galt. Während ein jeder die anderen Toten kaum für würdig hielt, bei Nacht und ohne Licht verscharrt zu werden, sollte um die Seinen das Purpurtuch geschlungen werden, es sollte das Ebur- num klingen und der Adler steigen, der das Lebens- bild der Helden und Seher zu den Göttern trägt.
     Freilich fand keiner von den großen Sängern, und ob sie goldene Lasten boten, zu solcher Schändung sich bereit. Da holten jene denn die Harfenisten, die auf der Kirchweih zum Tanze spielen, und die blin- den Zither-Schläger, wie sie vor den Triklinien der Freudenhäuser die trunkenen Gäste durch Lieder von der Venus-Muschel oder vom Fresser Herkules erfreuen. So waren denn die Kämpen und die Bar- den einander wert.
     Nun weiß man aber, daß das Metron ganz un- bestechlich ist. An seine unsichtbaren Säulen und Tore reichen die Feuer der Zerstörung nicht hinan. So waren auch jene nur betrogene Betrüger, die wähnten, daß Opfer-Spenden vom Range des Ebur- nums käuflich seien. Wir wohnten nur der ersten dieser Totenfeiern bei, und was wir davon erwar- tet hatten, sahen wir geschehen. Der Mietling, der den hohen, aus leichtem Feuerstoff gefügten Bogen des Gedichtes beschreiten sollte, begann sogleich zu stammeln und verwirrte sich. Dann aber wurde die Sprache ihm geläufig und kehrte sich zu niederen Haß- und Rachejamben, die im Staube züngelten. Bei diesem Schauspiel sahen wir die Menge in den roten Festgewändern, die man zum Eburnum trägt, und auch die Magistrate und den Klerus im Ornat. Sonst herrschte, wenn der Adler aufstieg, Stille, diesmal aber brach wilder Jubel aus.
     Bei diesen Tönen ergriff uns Trauer, und mit uns manchen, denn wir fühlten, daß nun aus der Marina der gute Ahnen-Geist gewichen war.

                           11.
    So ließen sich noch viele Zeichen nennen, in denen der Niedergang sich äußerte. Sie glichen dem Ausschlag, der erscheint, verschwindet und wieder- kehrt. Dazwischen waren auch heitre Tage ein- gesprengt, in denen alles wie früher schien.
     Gerade hierin lag ein meisterhafter Zug des Ober- försters: er gab die Furcht in kleinen Dosen ein, die er allmählich steigerte, und deren Ziel die Lähmung des Widerstandes war. Die Rolle, die er in diesen Wirren, die sehr fein in seinen Wäldern ausgespon- nen wurden, spielte, war die der Ordnungsmacht, denn während seine niederen Agenten, die in den Hirtenbünden saßen, den Stoff der Anarchie ver- mehrten, drangen die Eingeweihten in die Ämter und Magistrate, ja selbst in Klöster ein, und wurden dort als starke Geister, die den Pöbel zu Paaren treiben würden, angesehen. So glich der Oberför- ster einem bösen Arzte, der zunächst das Leiden för- dert, um sodann dem Kranken die Schnitte zuzu- fügen, die er im Sinne hat.
     Wohl gab es in den Magistraten Köpfe, die dieses Spiel durchschauten, doch fehlte ihnen, es zu hin- dern, die Gewalt. An der Marina hatte man seit jeher fremde Truppen in Sold gehalten, und solange die Dinge in Ordnung waren, war man gut bedient. Als nun die Händel bis an die Ufer drangen, suchte ein jeder die Söldner zu gewinnen, und Biedenhorn, ihr Führer, stieg über Nacht zu hoher Geltung auf. Es konnte ihm wenig daran gelegen sein, auf eine Wendung einzuwirken, die ihm so günstig war; vielmehr begann er, den Schwierigen zu spielen, und hielt die Truppen zurück wie Geld, das man auf Zinsen legt. Er hatte sich mit ihnen in eine alte Festung, den Zwinger, eingeschanzt, und lebte dort wie die Maus im Speck. So hatte er im Gewölbe des großen Turmes ein Trinkgemach errichtet, wo er behaglich zechend im Gemäuer saß. Im bunten Glase des Fensters erblickte man sein Wappen, zwei Hörner mit dem Spruche:
     „De Willekumm / Geiht um!”
     In dieser Klause hauste er, voll jener jovialen List des Nordens, die man leicht unterschätzt, und hörte mit gut gespieltem Kummer die Kläger an. Im Zechen pflegte er sich dann für Recht und

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