Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Ordnung zu ereifern — doch sah man nie, daß er zum Schla- gen kam. Daneben verhandelte er nicht nur mit den Sippenbünden, sondern auch mit den Kapitänen des Oberförsters, die er auf Kosten der Marina in Saus und Braus bewirtete. Mit diesen Wald-Kapi- tänen spielte er den Gemeinden einen bösen Streich. Indem er sich hilfsbedürftig stellte, schob er ihnen und ihrem Waldgesindel die Aufsicht über die ländlichen Bezirke zu. Damit begann der Schrecken ganz und gar zu herrschen und nahm die Maske der Ordnung an.
Die Kontingente, die den Kapitänen zur Verfü- gung standen, waren zunächst gering, auch wurden sie vereinzelt, wie Gendarmerie, ins Feld gebracht. Dies galt vor allem für die Jäger, die wir häufig um die Rauten-Klause streichen sahen, und die leider auch im Lampusas Küche vesperten. Das war das Waldgelichter, wie es im Buche steht, klein, blinzelnd und mit dunklen Hängebärten in den zerfressenen Gesichtern; ein Rotwelsch sprechend, das von allen Zungen das Übelste sich angeeignet hatte und wie aus blutigem Kot gebacken war.
Wir fanden sie mit minderen Waffen, mit Schlin- gen, Garnen und gekrümmten Dolchen, die sie Blutzapfer nannten, ausgerüstet; auch waren sie zu- meist ringsum behangen mit niederem Getier. So stellten sie an unserer Marmorklippen-Treppe den großen Perlen-Echsen nach; sie fingen sie auf jene altbekannte Art, bei der man eine feine Schlinge mit Speichel netzt. Die schönen, goldgrünen und leuchtend weiß gesternten Tiere hatten unser Auge oft erfreut, besonders wenn wir sie im Brombeerlaub erblickten, das als ein rotes Rankenwerk die Klippen überspann. Die Häute waren bei den welschen Kur- tisanen, die der Alte auf seinen Höfen aushielt, sehr begehrt; auch ließen seine Muscadins und Spintrier sich daraus Gürtel und feine Futterale fertigen. So wurden diese grünen Zauberwesen unbarmherzig verfolgt und schlimme Grausamkeiten an ihnen aus- geübt. Ja, diese Schinder nahmen sich nicht einmal die Mühe, sie zu töten, sondern beraubten sie noch lebend ihrer Haut und ließen sie als weiße Schemen die Klippen hinunterschießen, an deren Fuß sie un- ter Qualen verendeten. Tief ist der Haß, der in den niederen Herzen dem Schönen gegenüber brennt.
Solche Aasjäger-Stückchen gaben indessen nur den Vorwand her, um bei den Höfen und Häusern zu spionieren, ob in ihnen noch ein Rest von Freiheit lebendig war. Dann wiederholten sich die Banditen- Streiche, die man schon aus der Campagna kannte, und die Bewohner wurden bei Nacht und Nebel ab- geführt. Von dort kam keiner wieder, und was wir im Volk von ihrem Schicksal raunen hörten, erin- nerte an die Kadaver der Perlen-Echsen, die wir geschunden an den Klippen fanden, und füllte un- ser Herz mit Traurigkeit.
Dann tauchten auch die Förster auf, die man oft an den Rebenhängen und auf den Hügeln bei der Arbeit sah. Sie schienen das Land neu zu vermessen, denn sie ließen Löcher in den Boden graben und pflanzten Stangen mit Runenzeichen und tierischen Symbolen auf. Die Art, in der sie sich in Feld und Flur bewegten, war noch bestürzender als die der Jäger, denn sie durchstreiften den altgepflügten Grund wie Heideland, indem sie weder Weg noch Grenze achteten. Auch zollten sie den heiligen Bil- dern nicht den Gruß. So sah man sie das reiche Land durchqueren wie unbestellte und ungeweihte Wü- stenei.
Aus solchen Zeichen ließ sich erraten, was von dem Alten, der tief in seinen Wäldern lauerte, noch zu erwarten war. Ihm, der den Pflug, das Korn, die Rebe und die gezähmten Tiere haßte, und dem die lichte Siedlung und das offene Menschen-Wesen zu- wider waren, war es um Herrschaft über solche Fülle nicht zu tun. Ihm ging das Herz erst auf, wenn auf den Trümmern der Städte Moos und Efeu grün- ten, und wenn in den geborstenen Kreuzgewölben der Dome die Fledermaus im Mondstrahl flatterte. Die letzten seiner großen Bäume sollten die Wurzeln an den Ufern der Marina baden, und über ihren Kronen sollte der Silber-Reiher auf den Schwarz- storch treffen, der aus den Eichenschlägen zum Sumpfe flog. Es sollten in der dunklen Weinberg- Erde die Eber mit den Hauern wühlen, und auf den Klosterteichen sollten die Biber kreisen, wenn auf verborgenen Pfaden das Wild zur Dämmerung in starken Rudeln an die Tränke zog. Und an den Rändern, wo die Bäume im Sumpf nicht Wurzel schlugen, sollte im frühen Jahr die Schnepfe strei- chen und spät im Herbst die Drossel an die rote Beere
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