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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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gehen.

                           12.
    Auch liebte der Oberförster weder Bauernhöfe, noch Dichter-Klausen, noch irgendeinen Ort, wo man besonnen tätig war. Das Beste, was auf sei- nen Territorien hauste, war noch ein Schlag von rüden Kerlen, deren Lebenslust im Spüren und im Hetzen ruhte, und die dem Alten ergeben waren vom Vater auf den Sohn. Dies waren die Weid- gerechten, während jene niederen Jäger, die wir an der Marina sahen, aus sonderbaren Dörfern stamm- ten, die der Alte im tiefen Tannicht unterhielt.
     Fortunio, der das Reich des Alten noch am besten kannte, hatte mir von ihnen berichtet als von Ge- nisten altersgrauer Hütten — die Mauern aus Lehm und Häcksel-Schilf errichtet, und die spitzen Giebel mit fahlem Moos gedeckt. Dort hauste wie in Alben- Höhlen in Vogelfreiheit eine dunkle Brut. Wenn die- ses Volk auch fahrend war, so blieb in seinen Nestern und Spelunken doch immer ein Stamm zurück, so wie im Pfeffertopfe stets der letzte Grund als Würze zurückbehalten wird.
     In diese Waldes-Gründe hatte sich geflüchtet, was je in Kriegen oder Zeiten, in denen der Land- friede ruhte, der Vernichtung entronnen war — so Hunnen, Tataren, Zigeuner, Albigenser und ketze- rische Sekten aller Art. Zu diesen hatte sich gesellt, was immer den Profossen und der Henkershand entsprungen war, versprengte Scharen der großen Räuberbanden aus Polen und vom Nieder-Rhein und Weiber, die keine Arbeit leisten als mit der Hand, darauf man sitzt, und die der Büttel aus dem Tore fegt.
     Auch schlugen hier die Magier und die Hexen- meister, die dem Scheiterhaufen entronnen waren, ihre Zauberküchen auf; und bei den Eingeweihten, Venedigern und Alchimisten zählten diese unbe- kannten Dörfer zu den Horten der schwarzen Kunst. In Fortunios Händen hatte ich ein Manuskript ge- sehen, das von dem Rabbi Nilüfer stammte, der, aus Smyrna ausgetrieben, auf seinen Wanderungen auch in den Wäldern zu Gast gewesen war. Man sah aus seiner Schrift, daß sich die Weltgeschichte hier wie in trüben Tümpeln, an deren Ufern Ratten nisten, spiegelte. Auch ruhte der Schlüssel zu man- chem ihrer dunklen Fächer hier; so hieß es, daß Meister Villon nach der Vertreibung aus Perouard in einem dieser Tannicht-Nester Unterschlupf ge- funden hatte, in denen, wie der Stammsitz vieler dunkler Zünfte, so auch jener der Coquillards ge- legen war. Sie wechselten dann nach Burgund hin- über, doch blieb hier stets ein Zufluchtsort.
     Was immer aus der Welt in ihnen untertauchte, das gaben diese Wälder mit Zins und Zinseszins aus ihrem Schoß zurück. Aus ihnen zogen vor allem jene niederen Jäger, die sich erbieten, in Haus und Feld das Ungeziefer zu vertilgen — und wie Nilüfer meinte, war dies die Stätte, darinnen der Pfeifer von Hameln mit den Kindern verschwunden war. Mit diesen Scharen gingen Raub und Händel land- aus, landein. Doch stammten aus den Wäldern auch die zierlichen Betrüger, die mit Wagen und Diener- schaft erscheinen, und die man selbst an Fürsten- höfen trifft. So floß von hier ein dunkler Blutstrom in die Bahnen der Welt. Wo immer Meintat und Neidingswerk geschahen, war einer von den schlim- men Zünften mit dabei — und mit im Reigen, wo auf den Galgenhügeln der Wind die armen Schelme zum Tanz aufführt.
     Für alle diese war der Alte der große Boß, den sie am Saume des roten Jagdrocks küßten oder am Stiefelschaft, wenn er zu Pferde saß. Er wiederum verfuhr mit diesem Volke nach Belieben und ließ zu- weilten ein paar Dutzend wie Krammets-Vögel in die Bäume knüpfen, wenn es sich allzu üppig zu vermehren schien. Sonst mochte es in seinen Grün- den hausen und schmausen, wie es ihm gefiel.
     Als Schutzherr der Vaganten-Heimat war der Alte auch draußen in der Welt von großer, verbor- gener und weit verzweigter Macht. Wo immer die Gebäude, wie Menschen-Ordnung sie errichtet, brüchig wurden, schoß seine Brut wie Pilzgeflecht hervor. Sie wob und wirkte, wo Knechte dem an- gestammten Hause die Gefolgschaft weigerten, wo man auf Schiffen im Sturme meuterte, wo man den Schlachten-König im Stiche ließ.
     Allein der Oberförster war von solchen Kräften gut bedient. Wenn er in seinem Stadthaus die Mau- retanier empfing, umgab ihn eine Fülle von Diener- schaft — von grün livrierten Jägern, von Lakaien in rotem Frack und schwarzen Eskarpins, von Haus- beamten und Vertrauten aller Art. Man spürte bei solchen Festen ein wenig von der Gemütlichkeit, wie sie der Alte in

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