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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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gebären, ins Feuer tauchen muß.
     So taten wir wohl recht, den Händeln auszuwei- chen, bei denen Ruhm nicht zu gewinnen war, und friedlich an die Marina zurückzukehren, um an den leuchtenden Gestaden uns den Blumen zuzuwenden, in deren flüchtig bunten Zeichen das Unveränder- liche ruht wie in geheimer Bilderschrift, und die den Uhren gleichen, auf denen stets die rechte Stunde zu lesen ist.
     Kaum waren aber Haus und Garten gerichtet und die Arbeit so gediehen, daß ihre ersten Früchte winkten, da glomm bereits der Mordbrand-Schim- mer an der Campagna-Front der Marmor-Klippen auf. Als dann der Trubel auf die Marina übergriff, da waren wir gezwungen, Nachrichten einzuziehen, um mit der Art und Größe der Bedrohung vertraut zu sein.
     Auf der Campagna hatten wir den alten Belovar, den wir im Scherze den Arnauten nannten, und der häufig in Lampusas Küche zu treffen war. Er kam mit Kräutern und mit seltenen Wurzeln, die seine Frauen aus der fetten Erde der Weidegründe gruben, und die Lampusa für ihre Tränke und Mixturen trocknete. Aus diesem Grunde hatten wir uns mit ihm angefreundet und auf der Bank im Küchen- Vorhof manche Kanne Wein mit ihm geleert. Er war sehr zuverlässig in bezug auf alle Namen, mit denen das Volk die Blumen nennt, von denen es eine große Anzahl zu unterscheiden weiß; und wir horchten ihn gerne, um unsere Synonymik zu berei- chern, darüber aus. Auch kannte er Standorte rarer Arten — wie der Riemenzunge, die in den Büschen mit Bocksgeruch erblüht, des Ohnhorns, dessen Lippe in Form des Menschenleibes gebildet ist, und einer Ragwurz, deren Blüte dem Panther-Auge glich. So kam es, daß wir uns oft von ihm begleiten ließen, wenn wir jenseits der Marmor-Klippen sam- melten. Er wußte dort bis zu den Wäldern Weg und Steg; vor allem aber erwies sich, als die Hirten aufsässig wurden, sein Geleit als sicherer Schutz.
     In diesem Alten verkörperte sich das Beste, was die Weidegründe zu bieten hatten — freilich auf andre Art, als sie die Muscadins erträumten, die in dem Hirtenvolke den idealen Menschen entdeckt zu haben glaubten, den sie in rosafarbenen Gedich- ten feierten. Der alte Belovar war siebzigjährig, von hoher, hagerer Gestalt, mit weißem Barte, der zu dem schwarzen Haupthaar in sonderbarem Gegen- satze stand. An seinem Antlitz fielen vor allem die dunklen Augen auf, die weithin spähend mit Falken- schärfe den Grund beherrschten, doch die im Zorne nach Wolfsart leuchteten. Der Alte trug goldene Ringe in den Ohren, auch schmückten ihn ein rotes Kopftuch und ein rotes Gürtelband, das Knauf und Spitze eines Dolches sehen ließ. Ins Holz des Griffes dieser alten Waffe waren elf Kerben eingeschnitten und mit Färberröte nachgebeizt.
     Als wir ihn kennenlernten, hatte der Alte eben seine dritte Frau genommen, ein Weibchen von sechzehn Jahren, das er trefflich in Ordnung hielt, und wohl auch prügelte, wenn er betrunken war. Wenn er auf die Blutrache-Fehden zu sprechen kam, begannen seine Augen Glanz zu sprühen, und wir begriffen, daß das Herz des Feindes ihn anzog wie ein übermächtiger Magnet, solange es lebendig schlug; und daß der Nachglanz dieser Rachetaten ihn zu einem Sänger machte, wie es deren manche auf der Campagna gab. Wenn dort am Feuer zu Ehren der Hirten-Götter getrunken wurde, geschah es häufig, daß einer aus der Runde sich erhob und dann in eingegebener Rede den Totschlag rühmte, den er am Feind vollzog.
     Im Lauf der Zeit gewöhnten wir uns an den Alten und sahen ihn gerne, so wie man einen treuen Hund wohl leiden mag, obgleich die Wolfsnatur noch in ihm glüht. Wenn auch das wilde Erdfeuer in ihm lohte, so lebte doch nichts Schmähliches in ihm, und daher waren die dunklen Mächte, die aus den Wäl- dern in die Campagna drangen, ihm verhaßt. Auch merkten wir gar bald, daß dieses rohe Leben nicht ohne Tugend war; es brannte auch im Guten heißer, als man es in den Städten kennt. So war in ihm die Freundschaft mehr als ein Gefühl; sie flammte nicht minder unbedenklich und unbezähmbar als der Haß. Auch wir bekamen das zu spüren, als Bruder Otho in den ersten Jahren einen bösen Handel, in den die Konsulenten der Marina den Alten ver- wickelt hatten, vor dem Forum zum Besten wen- dete. Da begann er, uns in sein Herz zu schließen, und seine Augen leuchteten, wenn er uns nur von ferne sah.
     Bald mußten wir uns hüten, in seiner Nähe einen Wunsch zu äußern, denn er wäre ins Nest des Greifen eingedrungen, um uns durch seine

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