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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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groß und regelmäßig gewachsen sei; ihr Rund war als ein grüner Kreis gebildet, den die ovalen Blätter unterteilten und zackig ränderten, in deren Mitte sich leuchtend der Wachstumspunkt erhob. Die Bil- dung schien zugleich so frisch und zart im Fleische, wie unzerstörbar im Geistesglanze der Symmetrie. Da faßte uns ein Schauer an; wir fühlten, wie die Lust zu leben und die Lust zu sterben sich in uns einten; und als wir uns erhoben, blickten wir in Pater Lampros’ lächelndes Gesicht. Er hatte uns ein My- sterium vertraut.
     Wir durften die Muße, die uns Pater Lampros schenkte, um so höher schätzen, als sein Name bei den Christen in hohem Ansehn stand, und viele, die Rat und Trost erhofften, sich ihm näherten. Doch liebten ihn auch solche, die an den Zwölf Göttern hingen, oder die aus dem Norden stamm- ten, wo man die Asen in weiten Hallen und um- zäunten Hainen ehrt. Auch ihnen, wenn sie zu ihm kamen, spendete der Pater aus der gleichen Kraft, doch nicht in priesterlicher Form. Oft nannte Bruder Otho, der viele Tempel und Mysterien kannte, es an diesem Geiste das Wundersame, daß er so hohe Grade der Erkenntnis mit der strikten Regel zu vereinigen verstand. Bruder Otho meinte, daß wohl auch das Dogma die Grade der Ver- geistigung begleite — wie ein Gewand, das auf den frühen Stufen mit Gold und Purpurstoff durch- flochten ist und dann mit jedem Schritte an unsicht- barer Qualität gewinnt, indes das Muster sich all- mählich im Licht verliert.
     Bei dem Vertrauen, das alle Kräfte, die an der Marina wirkten, dem Pater Lampros zollten, war er in den Gang der Dinge vollkommen eingeweiht. Er übersah das Spiel, das dort getrieben wurde, wohl besser als jeder andere, und daher kam es uns selt- sam vor, daß er in seinem klösterlichen Leben sich nicht berühren ließ. Es schien vielmehr, daß in den gleichen Graden, in denen die Gefahr sich näherte, sein Wesen sich erheiterte und stärker leuchtete.
     Oft sprachen wir darüber, wenn wir in unserer Rauten-Klause am Rebholz-Feuer saßen — denn in bedrohten Zeiten ragen solche Geister wie Türme aus dem schwankenden Geschlecht. Wir fragten uns zuweilen, ob die Verderbnis ihm schon zu weit fort- geschritten scheine, um sie zu heilen; oder ob Be- scheidenheit und Stolz ihn hinderten, im Streite der Parteien aufzutreten, sei es in Worten, sei es mit der Tat. Doch traf wohl Bruder Otho den Zusammen- hang am besten, wenn er sagte, daß für Naturen wie die seine die Zerstörung des Schrecklichen entbehre, und sie geschaffen seien, in die hohen Grade des Feuers einzutreten wie durch Portale in das Vater- haus. Er, der gleich einem Träumer hinter Kloster- mauern lebe, sei von uns allen vielleicht allein in voller Wirklichkeit.
     Wie dem auch sei — wenn Pater Lampros die Sicherheit für sich verschmähte, so zeigte er sich doch getreu um uns besorgt. Oft kamen seine Zettel, die er als Phyllobius unterschrieb, und mahnten uns, hier oder dort nach einer seltenen Blume, die gerade blühe, auf Exkursion zu gehn. Wir ahnten dann, daß er uns zu bestimmter Stunde an entferntem Orte wissen wollte, und handelten danach. Er mochte diese Form wohl wählen, weil er vieles unter Siegeln, die unverletzlich sind, erfuhr.
     Auch fiel uns auf, daß seine Boten, wenn wir nicht in der Klause weilten, uns diese Briefe durch Erio, nicht aber durch Lampusa übermittelten.
    15.
    Als die Vernichtung stärker an die Marmor- Klippen brandete, lebten Erinnerungen an un- sere Mauretanier-Zeiten in uns auf, und wir erwogen den Ausweg der Gewalt. Noch hielten die Mächte an der Marina sich so die Waage, daß geringe Kräfte den Ausschlag geben konnten, denn solange die Sippenbünde miteinander kämpften, und Bie- denhorn mit seinen Söldnern sich zweifelhaft ver- hielt, verfügte der Oberförster über geringes Per- sonal.
     Wir erwogen, mit Belovar und seiner Sippe nachts auf die Jäger Jagd zu machen und jeden, der uns ins Garn geriet, zerfetzt am Kreuzweg aufzuhängen, um so den Gäuchen aus den Tannicht-Dörfern in einer Sprache zuzusprechen, wie sie ihnen allein verständlich war. Wenn wir solche Pläne berieten, ließ der Alte vor Wonne den breiten Dolch in seiner Scheide hüpfen wie zum Liebes-Spiele und drängte, daß wir die Fangeisen schärfen sollten, und daß die Hetzer hungerten, bis ihnen die Blutwitte- rung die roten Zungen zum Boden hecheln ließ. Dann fühlten auch wir, daß uns die Macht des Triebes wie ein Blitzstrahl in die Glieder fuhr.
     Wenn wir

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