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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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faßte uns ein Bangen, denn Gesicht und Hände dieses Mönches kamen uns ungewöhnlich und befremdend vor. Es schien, wenn ich es sagen soll, als ob sie einem Leichnam angehörten, und es war schwer zu glauben, daß Blut und Leben sich darin befand. Sie waren wie aus zartem Wachs gebildet — so kam es, daß das Mienenspiel nur langsam an die Oberfläche drang und mehr im Schimmer als in den Zügen des Gesichtes lag. Auch wirkte es seltsam starr und zeichenhaft, wenn er, wie er es liebte, während des Gespräches die Hand erhob. Und dennoch webte in diesem Körper eine Art von feiner Leichtigkeit, die in ihn ein- gezogen war gleich einem Atem-Hauche, der ein Puppenbild belebt. Auch fehlte es ihm nicht an Heiterkeit.
     Bei der Begrüßung sagte Bruder Otho, um das Bild zu loben, daß er in ihm den Liebreiz der For- tuna mit dem der Vesta in höherer Gestalt vereinigt finde — worauf der Mönch mit höflicher Gebärde das Gesicht zur Erde senkte, und es dann lächelnd gegen uns erhob. Es war, als nähme er das kleine Wort, nachdem er es besonnen hatte, als eine Opfer- gabe in Empfang.
     Aus diesem und vielen anderen Zügen erkannten wir, daß Pater Lampros die Diskussion vermied; auch wirkte er im Schweigen stärker als im Wort. So hielt er es auch in der Wissenschaft, in der er zu den Meistern zählte, ohne sich am Streit der Schulen zu beteiligen. Sein Grundsatz war, daß jede Theorie in der Natur-Geschichte einen Beitrag zur Genesis bedeute, weil der Menschengeist in jedem Alter die Schöpfung von neuem concipiere — und daß in jeder Deutung nicht mehr an Wahrheit lebe als in einem Blatte, das sich entfaltet und gar bald vergeht. Aus diesem Grunde nannte er sich auch Phyllobius, „der in den Blättern lebt” — in jener wunderlichen Mischung von Bescheidenheit und Stolz, die ihm zu eigen war.
     Daß Pater Lampros den Widerspruch nicht liebte, war auch ein Zeichen der Höflichkeit, wie sie in seinem Wesen zu hoher Feinheit ausgebildet war. Da er zugleich die Überlegenheit besaß, verfuhr er so, daß er das Wort des Partners entgegennahm, und wiedergab, indem er es in einem höheren Sinne be- stätigte. So hatte er Bruder Othos Gruß erwidert, und darin lag nicht nur Güte, wie sie der Kleriker im Lauf der Jahre erwirbt und steigert wie ein edler Wein — es lag darin auch Courtoisie, wie sie in hohen Häusern gezogen wird, und wie sie ihre Sprossen mit einer zweiten, leichteren Natur begabt. So lag auch Stolz darin—denn wenn man herrscht, besitzt man Urteil und läßt die Meinungen auf sich beruhn.
     Es hieß, daß Pater Lampros einem altburgundi- schen Geschlecht entstamme, doch sprach er nie- mals über die Vergangenheit. Aus seiner Weltzeit hatte er einen Siegelring zurückbehalten, in dessen roten Karneol ein Greifen-Flügel eingegraben war, darunter die Worte „meyn geduld hat ursach” als Wappenspruch. Auch darin verrieten sich die beiden Pole seines Wesens — Bescheidenheit und Stolz.
     Bald weilten wir häufig im Kloster der Falcifera, sei es im Blumengarten, sei es in der Bibliothek. Auf diese Weise gedieh uns unsere Florula weit rei- cher als bisher, da Pater Lampros seit vielen Jahren an der Marina sammelte, und wir nie von ihm gin- gen ohne einen Stoß Herbarien-Blätter, die er mit eigener Hand beschriftet hatte, und deren jedes ein kleines Kunstwerk war.
     Auch wirkte dieser Umgang günstig auf unsere Arbeit über die Axen-Stellung ein, denn es bedeutet viel für einen Plan, wenn man ihn hin und wieder mit einem guten Geist erwägen kann. In dieser Hin- sicht gewannen wir den Eindruck, daß der Pater ganz unauffällig und ohne jeden Ehrgeiz auf Autor- schaft an unserem Werke sich beteiligte. Nicht nur besaß er eine große Kenntnis der Erscheinungen, sondern er wußte auch die Augenblicke hohen Ranges zu vermitteln, in denen der Sinn der eigenen Arbeit uns wie ein Blitz durchdringt.
     So führte er uns eines Morgens an einem Blumen- Hange, an dem die Kloster-Gärtner in der Frühe ge- jätet hatten, zu einer Stelle, über die ein rotes Tuch gebreitet war. Er meinte, daß er dort der Unkraut- Hacke ein Gewächs entzogen hätte, um unser Auge zu erfreuen — doch als er dann das Tuch entfernte, erschien nichts anderes als eine junge Staude von jener Wegerich-Sorte, der Linnaeus den Namen major gab, und wie man sie auf allen Pfaden findet, die je ein Menschenfuß betrat. Indessen, als wir uns auf sie herniederbeugten und sie aufmerksam musterten, erschien es uns, als ob sie ungewöhnlich

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