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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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Unsichtbaren weit sicherer als hinter Panzertüren aufgehoben sei. Es würde durch eine Flamme, die weder Rauch noch niedere Röte zeige, in Reiche, die jenseits der Zer- störung liegen, überführt. Nigromontanus nannte das die Sicherheit im Nichts, und wir beschlossen, sie zu beschwören, wenn die Stunde der Vernichtung gekommen war.
     Wir hielten daher den Spiegel wert wie einen Schlüssel, der zu hohen Kammern führt, und öff- neten an solchen Abenden behutsam das blaue Futteral, das ihn umschloß, um uns an seinem Fun- keln zu erfreuen. Dann glänzte im Kerzenlichte seine Scheibe aus hellem Bergkristall, die rundum von einem Ring aus Elektron umgeben war. In diese Fassung hatte Nigromontan in Sonnen-Runen einen Spruch gegraben, der seiner Kühnheit würdig war.
    „Und sollte die Erde wie ein Geschoß zer-
    springen,
    Ist unsere Wandlung Feuer und weiße Glut.”
    Auf der Gegenseite waren ameisenfüßig in Pali- Schrift die Namen dreier Witwen von Königen ge-
    ritzt, die singend beim Totenprunke den Scheiter- haufen bestiegen hatten, nachdem er von Brah- manen-Hand mit Hilfe dieses Spiegels entzündet war.
     Neben dem Spiegel lag noch eine kleine Lampe, die auch aus Bergkristall geschnitten und mit dem Zeichen der Vesta versehen war. Sie war bestimmt, die Kraft des Feuers für Stunden der Sonnenferne zu bewahren oder für Augenblicke, in denen Eile ge- boten war. Mit dieser Lampe, und nicht mit Fackeln, wurde auch der Scheiterhaufen bei Olympia ent- zündet, als Peregrinus Proteus, der sich dann Phoe- nix nannte, im Angesichte einer ungeheuren Men- schenmenge ins offene Feuer sprang, um sich dem Äther zu vereinigen. Die Welt kennt diesen Mann und seine hohe Tat nur durch das lügenhafte Zerr- bild Lukians.
     In jeder guten Waffe liegt Zauberkraft; wir fühlen uns schon im Anblick wunderbar gestärkt. So ging es uns auch mit dem Spiegel Nigromontans; sein Blitzen weissagte uns, daß wir nicht gänzlich untergehen würden, ja, daß das Beste in uns den niederen Ge- walten unzugänglich war. So ruhen unsere hohen Kräfte unverletzlich wie in den Adler-Schlössern aus Kristall.
     Der Pater Lampros freilich lächelte und meinte, es gäbe Sarkophage auch für den Geist. Die Stunde der Vernichtung aber müsse die Stunde des Lebens sein. So konnte ein Priester sprechen, der sich vom Tode angezogen fühlte wie von fernen Katarak- ten, in deren Wirbelfahnen die Sonnenbogen stehen. Wir aber waren in der Lebensfülle und fühlten uns der Zeichen sehr bedürftig, die auch das körperliche Auge erkennen kann. So glänzt uns Sterblichen erst in der Mannigfaltigkeit der Farben das eine und un- sichtbare Licht.

                           17.
    Es fiel uns auf, daß jene Tage, an denen uns der Spleen erfaßte, auch Nebeltage waren, an denen das Land sein heiteres Gesicht verlor. Die Schwaden brauten dann aus den Wäldern wie aus üblen Kü- chen und wallten in breiten Bänken auf die Cam- pagna vor. Sie stauten sich an den Marmor-Klippen und schoben bei Sonnenaufgang träge Ströme ins Tal hinab, das bald bis an die Spitzen der Dome im weißen Dunst verschwunden war.
     Bei solchem Wetter fühlten wir uns der Augenkraft beraubt und spürten, daß sich das Unheil wie unter einem dichten Mantel ins Land einschlich. Wir ta- ten daher gut, wenn wir den Tag bei Licht und Wein im Haus verbrachten; und dennoch trieb es uns oft, hinauszugehn. Es schien uns nämlich nicht allein, daß draußen die Feuerwürmer ihr Wesen trieben, sondern als ob zugleich das Land sich in der Form verändere — als ob sich seine Wirklichkeit ver- mindere. Daher beschlossen wir oft auch an Nebel- tagen, auf Exkursion zu gehen, und suchten dann vor allem die Weidegründe auf. Auch war es stets ein ganz bestimmtes Kraut, das zu erbeuten wir uns zum Ziele setzten; wir suchten, wenn ich so sagen darf, im Chaos uns an Linnaeus’ Wunder- werk zu halten, das einen der Säulen-Türme stellt, von denen der Geist die Zonen des wilden Wachs- tums überblickt. In diesem Sinne spendete ein kleines Pflänzlein, das wir brachen, uns oft großen Schein.
     Auch kam noch etwas anderes hinzu, das ich als eine Art von Scham bezeichnen möchte — wir sahen nämlich das Waldgelichter nicht als Gegner an. In diesem Sinne hielten wir stets darauf, daß wir auf Pflanzenjagd und nicht im Kampfe waren, und so die niedere Bosheit zu vermeiden hatten, wie man den Sümpfen und wilden Tieren aus dem Wege geht. So billigten wir dem Lemuren-Volke nicht

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