Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Lampusa ihm einen Krug von jenem Weine füllte, der im Kometenjahr gekeltert war.
Wenn dann das Rebholz-Feuer im Kamine flammte, setzten wir nach einem Brauche, den wir uns in Britannien angeeignet hatten, die Duft- Amphoren auf. Wir pflegten dazu die Blütenblätter einzusammeln, wie sie die Jahreszeiten brachten, und preßten sie, nachdem wir sie getrocknet hatten, in weite, bauchige Gefäße ein. Wenn wir zur Winters- zeit die Deckel von den Krügen hoben, dann war der bunte Flor längst abgeblaßt und in den Farben ver- gilbter Seide und fahlen Purpurstoffs dahingewelkt. Doch kräuselte aus diesem Blüten-Grummet gleich der Erinnerung an Reseden-Beete und Rosengärten ein matter, wundersamer Duft empor.
Auch brannten wir zu diesen trüben Festen schwere Kerzen aus Bienenwachs. Sie stammten noch aus der Abschieds-Gabe des Provencalen-Ritters Deo- dat, der längst im wilden Taurus gefallen war. Bei ihrem Scheine gedachten wir dieses edlen Freundes und der Abendstunden, die wir auf Rhodos’ hohem Mauer-Ringe mit ihm verplaudert hatten, indes die Sonne am wolkenlosen Himmel der Ägäis unter- ging. Mit ihrem Sinken drang ein milder Lufthauch aus dem Galeeren-Hafen in die Stadt. Dann mischte sich der süße Duft der Rosen mit dem Ruch der Fei- genbäume, und in die Meeresbrise schmolz die Essenz von fernen Wald- und Kräuterhängen ein. Vor allem aber stieg aus den Graben-Werken, auf deren Grund in gelben Polstern die Kamille blühte, ein tiefer, köstlicher Geruch empor.
Mit ihm erhoben sich die letzten, honigschweren Bienen und flogen durch die Mauerschlitze und Zinnen-Scharten den Körben in den kleinen Gärten zu. Ihr trunkenes Schwirren hatte, wenn wir auf dem Bollwerk der Porta d’Amboise standen, uns so oft ergötzt, daß Deodat beim Scheiden uns eine Last von ihrem Wachse mit auf den Weg gegeben hatte — „daß ihr die goldenen Summerinnen der Rosen- Insel nicht vergeßt”. Und wirklich sprühte, wenn wir die Kerzen brannten, von ihren Dochten ein zartes, trockenes Arom nach Spezereien und nach den Blumen, die in Sarazenen-Gärten blühn.
So leerten wir das Glas auf alte und ferne Freunde und auf die Länder dieser Welt. Uns alle faßt ja ein Bangen, wenn die Lüfte des Todes wehn. Dann essen und trinken wir im Sinnen, wie lange an die- sen Tafeln noch der Platz für uns bereitet ist. Denn die Erde ist schön.
Daneben bedrückte uns ein Gedanke, der allen, die an Werken des Geistes schaffen, geläufig ist. Wir hatten so manches Jahr beim Studium der Pflanzen verbracht und dabei Öl und Mühe nicht gespart. Auch hatten wir gern das väterliche Erb- teil zugesetzt. Nun fielen die ersten reifen Früchte uns in den Schoß. Dann waren da die Briefe, die Skripturen, Kollektaneen und Herbarien, die Tage- bücher aus Kriegs- und Reisejahren und insbeson- dere die Materialien zur Sprache, die wir aus vielen tausend Steinchen gesammelt hatten und deren Mosaik schon weit gediehen war. Aus diesen Manu- skripten hatten wir erst weniges ediert, denn Bruder Otho meinte, daß vor Tauben zu musizieren, ein schlechtes Handwerk sei. Wir lebten in Zeiten, in denen der Autor zur Einsamkeit verurteilt ist. Und dennoch hätten wir bei diesem Stande der Dinge gar manches gern gedruckt gesehen — nicht um des Nachruhms willen, der ja nicht minder zu den Formen des Wahnes als der Augenblick gehört, sondern weil sich im Druck das Siegel des Ab- geschlossenen und Unveränderlichen verbirgt, an dessen Anblick sich auch der Einsame ergötzt. Wir gehen lieber, wenn die Dinge in Ordnung sind.
Wenn wir um unsere Blätter bangten, gedachten wir oft der heiteren Ruhe des Phyllobius. Wir lebten doch ganz anders in der Welt. Uns schien es allzu schwer, daß wir uns von den Werken trennen soll- ten, in denen wir webten und wurzelten. Doch hatten wir zum Trost den Spiegel Nigromontans, an dessen Anblick wir uns stets, wenn wir in solcher Stimmung waren, erheiterten. Er stammte aus dem Nachlaß meines alten Lehrers, und seine Eigenschaft war die, daß sich die Sonnenstrahlen durch ihn zu einem Feuer von hoher Kraft verdichteten. Die Dinge, die man an solcher Glut entzündete, gingen ins Unver- gängliche auf eine Weise, von der Nigromontanus meinte, daß sie am besten dem reinen Destillat vergleichbar sei. Er hatte diese Kunst in Klöstern des Fernen Orients erlernt, wo man den Toten ihre Schätze zu ewigem Geleit verbrennt. Ganz ähnlich meinte er, daß alles, was man mit Hilfe dieses Spiegels entflammen würde, im
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