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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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indessen im Herbarium oder in der Bibliothek die Lage gründlicher besprachen, ent- schlossen wir uns immer fester, allein durch reine Geistesmacht zu widerstehn. Nach Alta Plana glaubten wir erkannt zu haben, daß es Waffen gibt, die stärker sind als jene, die schneiden und durch- bohren, doch fielen wir zuweilen wie Kinder in jene frühe Welt, in welcher der Schrecken allmächtig ist, zurück. Wir kannten noch nicht die volle Herr- schaft, die dem Menschen verliehen ist.
     In dieser Hinsicht war der Umgang mit Pater Lampros uns von höchstem Wert. Wohl würden wir uns auch aus eigenem Herzen in jenem Sinne, in dem wir an die Marina zurückgekommen waren, entschieden haben; und doch wird uns vor solcher Wendung ein anderer zur Hilfe beigesandt. Die Nähe des guten Lehrers gibt uns ein, was wir im Grunde wollen, und sie befähigt uns, wir selbst zu sein. Daher lebt uns das edle Vorbild tief im Herzen, weil wir an ihm erahnen, weß wir fähig sind.
     So brach für uns an der Marina eine sonderbare Zeit heran. Indes die Untat im Lande wie ein Pilz- geflecht im morschen Holze wucherte, versenkten wir uns immer tiefer in das Mysterium der Blumen, und ihre Kelche schienen uns größer und leuchten- der als sonst. Vor allem aber setzten wir unsere Ar- beit an der Sprache fort, denn wir erkannten im Wort die Zauberklinge, vor deren Strahle die Ty- rannen-Macht erblaßt. Dreieinig sind das Wort, die Freiheit und der Geist.
     Ich darf wohl sagen, daß die Mühe uns gedieh. An manchem Morgen erwachten wir in großer Heiter- keit, und wir verspürten auf der Zunge den Wohl- geschmack, wie seiner der Mensch im Stande der höheren Gesundheit teilhaftig wird. Dann fiel es uns nicht schwer, die Dinge zu benennen, und wir be- wegten uns in der Rauten-Klause wie in einem Raume, der in den Kammern magnetisch aufgela- den war. In einem feinen Rausch und Wirbel durch- schritten wir die Gemächer und den Garten und legten zuweilen unsere Zettelchen auf den Kamin.
     An solchen Tagen suchten wir bei hohem Sonnen- Stande die Zinne der Marmor-Klippen auf. Wir schritten über die dunklen Hieroglyphen der Lanzen- Ottern auf dem Schlangen-Pfade und stiegen die Stufen der Felsentreppe an, die hell im Lichte schim- merten. Vom höchsten Grat der Klippen, der im Mit- tag blendend und fernhin leuchtete, sahen wir lange auf das Land, und unsere Blicke suchten sein Heil in jeder Falte, in jedem Raine zu erspähen. Dann fiel es uns wie Schuppen von den Augen, und wir begrif- fen es, so wie die Dinge in den Gedichten leben, im Glänze seiner Unzerstörbarkeit.
     Und freudig erfaßte uns das Wissen, daß die Ver- nichtung in den Elementen nicht Heimstatt findet, und daß ihr Trug sich auf der Oberfläche gleich Nebelbildern kräuselt, die der Sonne nicht wider- stehn. Und wir erahnten: wenn wir in jenen Zellen lebten, die unzerstörbar sind, dann würden wir aus jeder Phase der Vernichtung wie durch offene Tore aus einem Festgemach in immer strahlendere gehn.
     Oft meinte Bruder Otho, wenn wir auf der Höhe der Marmor-Klippen standen, daß dies der Sinn des Lebens sei — die Schöpfung im Vergänglichen zu wiederholen, so wie das Kind im Spiel das Werk des Vaters wiederholt. Das sei der Sinn von Saat und Zeugung, von Bau und Ordnung, von Bild und Dich- tung, daß in ihnen das große Werk sich künde wie in Spiegeln aus buntem Glase, das gar bald zerbricht.

                           16.
    So denken wir an unsere stolzen Tage gern zu- rück. Doch sollen wir auch jene nicht verschwei- gen, in denen das Niedere über uns Gewalt gewann. In unseren schwachen Stunden erscheint uns die Vernichtung in schrecklicher Gestalt, wie jene Bil- der, die man in den Tempeln der Rache-Götter sieht.
     So graute für uns gar mancher Morgen, an dem wir zagend durch die Rauten-Klause schritten, und freudlos sannen wir im Herbarium und in der Bi- bliothek. Dann pflegten wir die Läden fest zu schlie- ßen und lasen bei Licht vergilbte Blätter und Skrip- turen, die uns dereinst auf mancher Fahrt begleiteten. Auch sahen wir in alte Briefe und schlugen zum Troste die bewährten Bücher auf, in denen Herzen uns Wärme spenden, die seit viel hundert Jahren ver- modert sind. So lebt die Glut der großen Erden- sommer in dunklen Kohlen-Adern nach.
     An solchen Tagen, die der Spleen regierte, schlos- sen wir auch die Türen, die zum Garten führten, da uns der frische Blumenduft zu feurig war. Am Abend schickten wir Erio in die Felsenküche, damit

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