Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Jungen zu er- freuen. Wir konnten zu jeder Stunde über ihn ver- fügen wie über eine gute Waffe, die man in Händen hält; und wir erkannten in ihm die Macht, die wir genießen, wenn sich ein anderer völlig uns zu eigen gibt, und die im Laufe der Gesittung verlorengeht.
So fühlten wir uns gegen die Gefahren, die von der Campagna drohten, allein durch diese Freund- schaft gut gedeckt. So manche Nacht, da wir im Bücher-Zimmer und im Herbarium still an der Ar- beit saßen, flammte der Mordbrand-Schimmer am Klippenrande auf. Oft lagen die Dinge uns so nahe, daß, wenn der Nordwind wehte, ihr Klang zu uns herüberdrang. Wir hörten dann die Rammbock- Stöße an das Hoftor schlagen, und das Klagen des Viehes, das in Flammen-Ställen stand. Auch trug der Wind ganz leise das Gewirr von Stimmen her- über und den Ton der Glocken, die in den kleinen Hauskapellen läuteten — und wenn dies alles jäh verstummte, lauschte das Ohr noch lange in die Nacht.
Doch wußten wir, daß unserer Rauten-Klause kein Unheil drohte, solange noch der alte Hirte mit seiner wilden Sippe in der Steppe lag.
14.
An der Marina-Front der Marmor-Klippen hin- gegen durften wir auf Beistand eines Christen- Mönches zählen, des Pater Lampros aus dem Kloster der Maria Lunaris, die man im Volk als die Fal- cifera verehrt. In diesen beiden Männern, dem Hir- ten und dem Mönche, trat die Verschiedenheit zu- tage, wie sie der Boden auf die Menschen nicht minder als auf die Pflanzen übt. Im alten Bluträcher lebten die Weidegründe, in die noch nie das Eisen einer Pflugschar eingeschnitten hatte, wie in dem Priester die Weinbergs-Krume, die in den vielen hun- dert Jahren durch die Sorge der Menschenhand so fein wie Sanduhr-Staub geworden war.
Von Pater Lampros hatten wir zunächst aus Up- sala gehört, und zwar von Ehrhardt, der dort als Kustos am Herbarium wirkte und uns mit Material für unsere Arbeiten versah. Wir waren damals mit der Art beschäftigt, in der die Pflanzen den Kreis auf- teilen, mit der Axen-Stellung, die den organischen Figuren zugrunde liegt — und letzten Endes mit dem Kristallismus, der unveränderlich dem Wachs- tum Sinn erteilt, so wie dem Zeiger das Zifferblatt der Uhr. Nun teilte uns Ehrhardt mit, daß wir an der Marina ja den Autor des schönen Werkes von der Symmetrie der Früchte wohnen hätten — Phyllo- bius, unter welchem Namen der Pater Lampros sich verbarg. Da diese Nachricht uns begierig stimmte, machten wir dem Mönche, nachdem wir ihm ein Zettelchen geschrieben hatten, im Kloster der Fal- cifera Besuch.
Das Kloster lag uns so nahe, daß man von der Rauten-Klause die Spitze seines Turmes sah. Die Klosterkirche war Wallfahrtsort, und zu ihr führte der Weg durch sanfte Matten, auf denen die alten Bäume so herrlich blühten, daß kaum ein grünes Blättchen im Weiß erschien. Am Morgen war in den Gärten, die der Seewind frischte, kein Mensch zu sehen; und doch war durch die Kraft, die in den Blüten lebte, die Luft so geistig wirkend, daß man durch Zaubergärten schritt. Bald sahen wir das Kloster vor uns liegen, das weit von einem Hügel schaute, mit seiner Kirche, die im heitren Stile er- richtet war. Von ferne hörten wir bereits die Orgel tönen, die den Gesang, mit dem die Pilger das Bild verehrten, begleitete.
Als uns der Pförtner durch die Kirche führte, er- wiesen auch wir dem Wunderbilde unseren Gruß. Wir sahen die hohe Frau auf einem Wolken-Throne, und ihre Füße ruhten wie auf einem Schemel auf dem schmalen Monde, in dessen Sichel ein Gesicht, das erdwärts blickte, gebildet war. So war die Gottheit dargestellt als Macht, die über dem Veränderlichen thront, und die man so als Bringerin und Fügerin verehrt.
Am Claustrum nahm uns der Circulator in Emp- fang, der uns zur Bibliothek geleitete, die unter Pater Lampros’ Aufsicht stand. Hier pflegte er die Stunden zu verbringen, die für die Arbeit vorgesehen waren, und hier, umringt von hohen Folianten, weilten wir oftmals im Gespräch mit ihm. Als wir zum ersten Male durch die Türe traten, sahen wir den Pater, der soeben aus dem Klostergarten gekom- men war, im stillen Räume stehen, mit einer purpur- roten Siegwurz-Rispe in der Hand. Er trug den breiten Castor-Hut noch auf dem Kopfe, und auf dem weißen Mantel spielte das bunte Licht, das durch die Kreuzgang-Fenster fiel.
Wir fanden in Pater Lampros einen Mann, der etwa fünfzig Jahre zählen mochte, von mittlerer Ge- stalt und feinem Gliederbau. Als wir ihm näher- traten,
Weitere Kostenlose Bücher