Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
Vom Netzwerk:
der mit ausgezackten Schwingen auf das Kardenfeld herniederstieß. Erst als wir ihn bis an den roten Hals langsam im aufgewühlten Grunde schnäbeln sahen, erkannten wir, daß dort ein Männlein mit der Hacke am Werke war, und daß der Vogel seine Arbeit begleitete, so wie der Rabe dem Pfluge folgt.
     Nun legte das Männlein die Hacke nieder und schritt, ein Liedchen pfeifend, auf die Scheuer zu. Es war in einen grauen Wams gekleidet, und wir sahen, daß es sich wie nach wackrem Werk die Hände rieb. Nachdem es in die Scheuer eingetreten war, begann ein Pochen und Schaben an der Schin- derbank, dazu es in lemurenhafter Heiterkeit sein Liedchen weiterpfiff. Dann hörten wir, wie zur Be- gleitung, im Tannicht den Wind sich wiegen, sodaß die bleichen Schädel an den Bäumen im Chore klapperten. Auch mischten sich in sein Wehen das Schwingen der Haken und das Kraspeln der dürren Hände an der Scheuerwand. Das klang so hölzern und beinern wie im Reich des Todes ein Marionet- ten-Spiel. Zugleich trieb mit dem Winde ein zäher, schwerer und süßer Hauch der Verwesung an, der uns bis in das Mark der Knochen erzittern ließ. Wir fühlten, wie in unserem Inneren die Lebens-Melodie auf ihre dunkelste, auf ihre tiefste Saite übergriff.
     Wir wußten später nicht zu sagen, wie lange wir diesen Spuk betrachtet hatten — vielleicht nicht länger als einen Augenblick. Dann, wie erwachend, faßten wir uns an den Händen und stürzten in den Hochwald des Filler-Horns zurück, indes der Kuckucks-Ruf uns höhnend geleitete. Nun kannten wir die üble Küche, aus der die Nebel über die Marina zogen — da wir nicht weichen wollten, hatte der Alte sie uns ein wenig deutlicher gezeigt. So sind die Keller, darauf die stolzen Schlösser der Tyrannis sich erheben, und über denen man die Wohlgerüche ihrer Feste sich kräuseln sieht —: Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfenes Gelichter sich an der Schän- dung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt. Dann schweigen die Musen, und die Wahrheit beginnt zu flackern wie eine Leuchte in böser Wetterluft. Da sieht man die Schwachen schon weichen, wenn kaum die ersten Nebel brauen, doch selbst die Krieger-Kaste be- ginnt zu zagen, wenn sie das Larven-Gelichter aus den Niederungen auf die Bastionen emporgestiegen sieht. So kommt es, daß Kriegesmut auf dieser Welt im zweiten Treffen steht; und nur die Höchsten, die mit uns leben, dringen bis in den Sitz des Schreckens ein. Sie wissen, daß alle diese Bilder ja nur in unserem Herzen leben, und schreiten als durch vorgestellte Spiegelungen durch sie in stolze Siegestore ein. So werden sie durch die Larven gar herrlich in ihrer Wirklichkeit erhöht.
     Uns aber hatte der Totentanz auf Köppels- Bleek im Innersten geschreckt, und schaudernd standen wir im tiefen Walde und lauschten dem Kuckucks-Ruf. Dann aber begann die Scham uns zu ergreifen, und es war Bruder Otho, der verlangte, daß wir uns gleich noch einmal an die Rodung zu- rückbegeben sollten, weil das rote Waldvögelein nicht in das Fundbuch eingetragen worden sei. Wir pflegten nämlich über alle Pflanzenfunde an Ort und Stelle Tagebuch zu führen, da wir erfahren hat- ten, daß uns in der Erinnerung viel entging. So dürfen wir wohl sagen, daß unsere Florula Marinae im Feld entstanden ist.
     Wir pürschten also, ohne uns an den Kuckucks- Ruf zu kehren, wieder bis an den kleinen Hügel vor und suchten dann im Laube das Pflänzlein auf. Nachdem wir es noch einmal gut betrachtet hatten, hob Bruder Otho seinen Wurzelstock mit unserem Spatel aus. Dann maßen wir das Kraut in allen seinen Teilen mit dem Zirkel aus und trugen mit dem Datum auch die Einzelheiten des Fundorts in unser Büchlein ein.
     Wir Menschen, wenn wir so in den uns zugemesse- nen Berufen am Werke sind, stehen im Amt — und es ist seltsam, daß uns dann sogleich ein stärkeres Gefühl der Unversehrbarkeit ergreift. Wir hatten das bereits im Feld erfahren, wo der Krieger, wenn die Nähe des Todes an ihm zu zehren droht, sich gern den Pflichten widmet, die seinem Stande vorge- schrieben sind. In gleicher Weise hatte uns die Wis- senschaft gar oft gestärkt. Es liegt im Blick des Auges, der sich erkennend und ohne niedere Blen- dung auf die Dinge richtet, eine große Kraft. Er nährt sich von der Schöpfung auf besondre Weise, und hierin liegt allein die Macht der Wissenschaft. So fühlten wir, wie selbst das schwache Blümlein in seiner Form und Bildung, die

Weitere Kostenlose Bücher