Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Geist, sei es in Träumen oder tiefem Sinnen, sich angestrengt in Regionen mühte, die er nicht schildern kann. Es war, als ob er sich in Labyrinthen zurechtzutasten suchte oder die Zeichnungen zu schauen, die im Vexierbild eingeschlossen sind. Und manchmal erwachte er wundersam gestärkt. In Solchem findet unsere beste Arbeit statt, und so schien es auch uns, daß uns im Kampfe selbst die Sprache noch nicht genüge, son- dern daß wir bis in die Traumes-Tiefe dringen müßten, um die Bedrohung zu bestehn.
Und wirklich erschien uns, wenn wir einsam in Moor und Röhricht standen, das Beginnen oft wie ein feines Spiel mit Zug und Gegenzug. Dann brauten die Nebel stärker auf, und doch schien auch in unserem Inneren zugleich die Kraft zu wachsen, die Ordnung schafft.
18.
Indessen ließen wir bei keinem dieser Gänge die lumen außer acht. Sie gaben uns die Richtung, so wie der Kompaß den Weg durch ungewisse Meere weist. So war es auch an jenem Tage, an dem wir in das Innere des Filler-Hornes drangen, und dessen wir uns später nur mit Grausen erinnerten.
Wir hatten uns am Morgen, als wir die Nebel aus den Wäldern bis an die Marmor-Klippen kochen sahen, vorgenommen, nach dem roten Waldvögelein zu fahnden, und hatten uns, nachdem Lampusa das Frühstück zugerüstet, bald auf den Weg gemacht. Das rote Waldvögelein ist eine Blume, die vereinzelt in Wäldern und Dickichten gedeiht, und führt den Namen Rubra, den Linnaeus ihr verliehen, im Unterschiede zu zwei blassen Arten, doch blüht es seltener als sie. Da diese Pflanze die Stellen liebt, an denen die Dickungen sich lichten, meinte Bruder Otho, daß sie vielleicht am besten bei Köppels-Bleek zu suchen sei. So nannten die Hirten einen alten Kahlschlag, der an dem Orte liegen sollte, an dem der Waldrand in die Sichel des Filler-Hornes mündet, und der verrufen war.
Am Mittag waren wir bei dem alten Belovar, doch nahmen, da wir uns der vollen Geisteskraft be- dürftig fühlten, wir keine Nahrung an. Wir streiften die silbergrauen Mäntel über, und da die Bestemutter uns, ohne Widerstand zu finden, abgetastet hatte, entließ der Alte uns getrost.
Gleich hinter seiner Grenze setzte ein tolles Ne- beltreiben ein, das alle Formen verwischte und uns bald Weg und Steg verlieren ließ. So irrten wir im Kreis auf Moor und Heide und machten zuweilen zwischen Gruppen von alten Weiden oder an trüben Tümpeln, aus denen hohe Binsen wuchsen, Halt.
Die Ödnis schien an diesem Tage belebter, denn wir hörten im Nebel Rufe und glaubten Gestalten zu erkennen, die nah im Dunst an uns vorüberglit- ten, doch ohne uns zu sehn. Wir hätten in diesem Trubel gewiß den Weg zum Filler-Horn verfehlt, allein wir hielten uns an den Sonnentau. Wir wuß- ten, daß dieses Kräutlein den feuchten Gürtel, der den Wald umringte, besiedelt hielt, und folgten dem Muster seiner glänzend grünen und rot behaarten Blätter wie einem Teppichsaum. Auf diese Weise er- reichten wir die drei hohen Pappeln, die sonst bei klarem Wetter die Spitze des Filler-Hornes wie Lan- zenschäfte weithin zeichneten. Von diesem Punkte tasteten wir uns an der Sichelschneide bis an den Waldrand vor und drangen dort in die größte Breite des Filler-Hornes ein.
Nachdem wir einen dichten Saum von Schlehdorn und Kornellen durchbrochen hatten, traten wir in den Hochwald ein, in dessen Gründen noch nie der Schlag der Axt erklungen war. Die alten Stämme, die den Stolz des Oberförsters bildeten, standen im feuchten Glanz wie Säulen, deren Kapitale der Dunst verbarg. Wir schritten unter ihnen wie durch weite Vestibüle, und gleich dem Zauberwerk auf einer Bühne hingen Efeuranken und Clematis- Blüten aus dem Unsichtbaren auf uns herab. Der Boden war hoch bedeckt mit Mulm und modern- dem Geäst, auf dessen Rinde sich Pilze, brennend rote Becherlinge, angesiedelt hatten, sodaß uns ein Gefühl von Tauchern, die durch Korallengärten wandeln, überschlich. Wo einer dieser Riesenstämme vom Alter oder durch den Blitz geworfen war, da traten wir auf kleine Lichtungen hinaus, auf denen der gelbe Fingerhut in dichten Büscheln stand. Auch wucherten Tollkirschen-Sträucher auf dem mor- schen Grunde, an deren Zweigen die Blumenkelche in braunem Violett wie Toten-Glöckchen schaukel- ten.
Die Luft war still und drückend, doch scheuchten wir mannigfache Vögel auf. So hörten wir das feine Zirpen, mit dem das Feuer-Hähnchen durch die Lärchen streift, und auch die
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