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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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Warnungs-Rufe, mit denen die aufgeschreckte Drossel ihr Liedchen un- terbricht. Mit Kichern barg sich der Wendehals im hohlen Erlenstamm, und in den Eichenkronen ga- ben uns die Pirole mit gaukelndem Gelächter das Geleit. Auch hörten wir in der Ferne den trunkenen Täuber girren und das Hämmern der Spechte am toten Holz.
     So pürschten wir langsam einen flachen Hügel an, bis Bruder Otho, der ein wenig im voraus war, mir zurief, daß die Rodung ganz nahe sei. Dies war der Augenblick, in dem ich das rote Waldvögelein, nach dem wir suchten, im Dämmer schimmern sah, und freudig eilte ich darauf zu. Das Blümlein machte seinem Namen Ehre, denn es schien einem Vögelchen zu gleichen, das heimlich im kupferbraunen Bu- chenlaube nistete. Ich sah die schmalen Blätter und die Purpur-Blüte mit der blassen Spitze der Honig- lippe, durch die sie ausgezeichnet ist.
     Den Forscher, den so der Anblick eines Pflänzleins oder eines Tieres überrascht, ergreift ein glückliches Gefühl, als hätte die Natur ihn reich beschenkt. Bei solchen Funden pflegte ich, ehe ich sie berührte, Bruder Otho anzurufen, daß er die Freude mit mir teile, doch als ich eben den Blick zu ihm erheben wollte, hörte ich einen Klagelaut, der mich er- schrecken ließ. So strömt nach Wunden, die uns tief verletzten, der Lebensatem langsam aus der Brust. Ich sah ihn wie gebannt dicht vor mir auf der Hügelkuppe stehen, und als ich zu ihm eilte, hob er die Hand und lenkte meinen Blick. Da fühlte ich es wie mit Krallen mir nach dem Herzen greifen, denn vor mir ausgebreitet lag die Stätte der Unter- drückung in ihrer vollen Schmach.

                           19.
    Wir standen hinter einem kleinen Busche, der feuerrote Beeren trug, und schauten auf die Rodung von Köppels-Bleek hinaus. Das Wetter hatte sich geändert, denn wir erblickten von den Nebel- schwaden, die uns seit den Marmor-Klippen be- gleitet hatten, hier keine Spur. Die Dinge traten vielmehr in voller Deutlichkeit hervor, so wie im Zentrum eines Wirbelsturmes, in stiller und un- bewegter Luft. Auch waren die Vogelstimmen nun verstummt, und nur ein Kuckuck lichterte, wie es die Sitte seiner Sippschaft ist, am dunklen Wald- rand hin und her. Bald nah, bald ferner hörten wir sein spöttisches und fragendes Gelächter Kuck-Kuck, Kuck-Kuck rufen, und dann sich triumphierend überschlagen, daß unser Blut ein Frösteln überlief. Die Rodung war mit dürrem Grase überwachsen, das nur im Hintergrunde der grauen Karden- Distel, die man auf Abraum-Plätzen findet, wich. Von diesem trockenen Bestände hoben sich selt- sam frisch zwei große Büsche ab, die wir beim ersten Blick für Lorbeer-Sträucher hielten, doch waren die Blätter gelb gescheckt, wie man dergleichen in Fleischerläden sieht. Sie wuchsen zu beiden Seiten einer alten Scheuer, die weit geöffnet auf der Ro- dung stand. Das Licht, das sie beschien, war zwar kein Sonnenlicht, doch gleißend und schattenlos und hob den weißgetünchten Bau sehr scharf her- vor. Die Mauern waren durch schwarze Balken, die auf drei Füßen standen, in Fächer eingeteilt, und über ihnen stieg spitz ein graues Schindeldach em- por. Auch waren Stangen und Haken an sie an- gelehnt.
     Über dem dunklen Tore war am Giebel-Felde ein Schädel festgenagelt, der dort im fahlen Lichte die Zähne bleckte und mit Grinsen zum Eintritt auf- zufordern schien. Wie eine Kette im Kleinod endet, so schloß in ihm ein schmaler Giebelfries, der wie aus braunen Spinnen gebildet schien. Doch gleich er- rieten wir, daß er aus Menschen-Händen an die Mauer geheftet war. Wir sahen das so deutlich, daß wir den kleinen Pflock erkannten, der durch den Teller einer jeden getrieben war.
     Auch an den Bäumen, die die Rodung säumten, bleichten die Totenköpfe, von denen mancher, dem in den Augenhöhlen schon Moos gewachsen war, mit dunklem Lächeln uns zu mustern schien. Es war ganz still bis auf den tollen Tanz, mit dem der Kuckuck um die Schädel-Bleiche lichterte. Ich hörte, wie Bruder Otho, halb träumend, flüsterte: „Ja, das ist Köppels-Bleek.”
     Das Innere der Scheune lag fast im Dunkel, und wir erkannten nur dicht am Eingang eine Schinder- bank mit aufgespannter Haut. Dahinter schimmerten noch bleiche, schwammige Massen aus dem finstren Grund. Zu ihnen sahen wir in die Scheuer Schwärme stahlfarbener und goldener Fliegen schwirren wie in ein Bienenhaus. Dann fiel der Schatten eines großen Vogels auf den Platz. Er rührte von einem Geier,

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