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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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Willensfreiheit zu. Nie dürfen solche Mächte uns in einem Maße das Gesetz vorschreiben, daß uns die Wahrheit aus den Augen kommt.
     An solchen Tagen waren die Treppenstufen, die auf die Marmor-Klippen führten, vom Nebel feucht, und kühle Winde sprühten die Schwaden über sie hinab. Obwohl sich auf den Weidegründen viel ver- ändert hatte, waren uns doch die alten Pfade noch vertraut. Sie führten durch die Ruinen reicher Höfe, die nun ein kalter Brandgeruch durchwob. Wir sa- hen in den eingestürzten Ställen die Knochen des Viehes bleichen, mit Huf und Horn und mit der Kette noch um den Hals. Im Innenhofe türmte sich der Hausrat, wie er von den Feuer-Würmern aus den Fenstern geworfen und dann geplündert worden war. Da lag die Wiege zerbrochen zwischen Stuhl und Tisch, und Nesseln grünten um sie empor. Nur sel- ten stießen wir auf versprengte Trupps von Hirten; sie führten wenig und kümmerliches Vieh. Von den Kadavern, die auf den Weiden faulten, waren Seu- chen aufgestiegen und hatten das große Sterben in die Herden eingeführt. So bringt der Untergang der Ordnung niemandem Heil.
     Nach einer Stunde stießen wir auf den Hof des alten Belovar, der fast allein an alte Zeiten erinnerte, denn er lag reich an Vieh und unversehrt im Kranze der grünen Weiden da. Der Grund lag darin, daß Belovar zugleich ein freier Hirte und Sippenführer war, und daß er seit Beginn der Wirren sein Gut von allem streifenden Gesindel sauber gehalten hatte, so daß seit langem kein Jäger und kein Feuer-Wurm sich traute, auch nur von ferne an ihm vorbeizugehn. Was er von diesen in Feld und Busch erschlug, das zählte er seinen guten Werken zu und schnitt aus solchem Grunde nicht einmal eine neue Kerbe in seinen Dolch. Auch hielt er streng darauf, daß alles Vieh, das ihm in seinen Marken zugrunde ging, tief eingegraben und mit Kalk beschüttet wurde, damit die böse Luft sich nicht verbreitete. So kam es, daß man zu ihm durch große Herden von roten und bunt gescheckten Rindern ging, und daß sein Haus und seine Scheuern noch weithin leuchteten. Auch lach- ten die kleinen Götter, die seine Grenzen schützten, uns stets im Glänze frischer Spenden an.
     So liegt zuweilen im Kriege ein Außenfort noch unversehrt, wenn längst die Festung gefallen ist. In dieser Weise bot uns der Hof des Alten einen Stützpunkt dar. Wir konnten hier sicher rasten und mit ihm plaudern, indes Milina, sein junges Weib- chen, uns in der Küche Wein mit Safran kochte und Kuchen im Butterkessel sott. Auch hatte der Alte noch eine Mutter, die fast an hundert Jahr alt war und dennoch aufrecht wie ein Licht durch Haus und Höfe schritt. Wir sprachen mit der Bestemutter gern, denn sie war kräuterkundig und kannte Sprüche, deren Kraft das Blut gerinnen macht. Auch ließen wir uns von ihrer Hand betasten, wenn wir Abschied nah- men, um weiter vorzugehn.
     Meist wollte der Alte uns begleiten, doch nahmen wir ihn nur ungern mit. Es schien, als zöge seine Nähe uns das Gelichter aus den Tannicht-Dörfern auf den Hals, so wie die Hunde sich rühren, wenn der Wolf um die Gemarkung streift. Das war wohl nach des Alten Herzen; wir aber hatten dort an- deres im Sinn. Wir gingen ohne Waffen, ohne Knechte und zogen leichte, silbergraue Mäntel über, um im Nebel verborgener zu sein. So tasteten wir uns durch Moor- und Schilfgelände behutsam auf die Hörner und auf den Waldrand vor.
     Sehr bald, wenn wir den Weidegrund verließen, bemerkten wir, daß die Gewalt nun näher und stär- ker war. Die Nebel wallten in den Büschen, und das Röhricht zischelte im Wind. Ja, selbst der Boden, auf dem wir schritten, kam uns fremder und unbe- kannter vor. Vor allem aber war es bedenklich, daß sich die Erinnerung verlor. Dann wurde das Land ganz trügerisch und schwankend und den Gefilden ähnlich, die man in Träumen sieht. So gab es im- mer Orte, die wir mit Sicherheit erkannten, doch gleich daneben wuchsen wie Inseln, die aus dem Meere tauchen, neue und rätselhafte Streifen an. Um hier die rechte und wahre Topographie zu schaffen, bedurfte es unserer ganzen Kraft. Wir ta- ten daher wohl, die Abenteuer zu vermeiden, nach denen der alte Belovar begierig war.
     So schritten und weilten wir oft viele Stunden in Moor und Ried. Wenn ich die Einzelheiten dieses Werkes nicht beschreibe, so liegt das daran, daß wir Dinge trieben, die außerhalb der Sprache liegen, und die sich daher dem Banne, den Worte üben, entziehen. Indessen erinnert sich ein jeder, daß sein

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