Auf den Schwingen des Adlers
Er hatte es nicht nötig, ins Ausland zu expandieren. Wenn man dort erst Bestechungsgelder zahlen muß, um ins Geschäft zu kommen, hatte er gesagt, dann lassen wir einfach die Finger davon.
Seine Geschäftsprinzipien waren tief in ihm verwurzelt. Seine Vorfahren – Franzosen, die nach New Orleans ausgewandert waren – hatten am Lauf des Red River verschiedene Handelsstationen errichtet. Der Handel in dieser Gegend war ein Saisongeschäft, und Gabriel Ross Perot hatte viel Zeit darauf verwendet, sich mit seinem Sohn über die Geschäfte zu unterhalten. »Es nützt überhaupt nichts«, pflegte er zu sagen, »wenn man einem Farmer einmal Baumwolle abkauft. Man muß ihn fair behandeln, sein Vertrauen gewinnen, eine Beziehung zu ihm anknüpfen, so daß er sich darüber freut, dir Jahr für Jahr seine Baumwolle verkaufen zu können. Erst dann macht man Geschäfte.« In diesen Rahmen paßte einfach keine Bestechung.
*
Um halb zwei rief Perot noch einmal im EDS-Büro in Teheran an. Immer noch keine Neuigkeiten. »Ruft im Gefängnis an oder schickt jemanden hin«, sagte er. »Versucht zu erfahren, wann sie rauskommen.«
Allmählich wurde er unruhig.
Was tu ich, wenn das auch nicht klappt? dachte er. Stelle ich die Kaution, dann gebe ich dreizehn Millionen Dollar aus, und Paul und Bill dürfen das Land immer noch nicht verlassen. Die uns noch bleibenden legalen Möglichkeiten scheitern an den Einwänden, die die Rechtsanwälte im Iran vorgebracht haben – daß es sich um einen politischen Fall handelt, wobei es letzthin gleichgültig ist, ob Paul und Bill unschuldig sind oder nicht.
Aber politischer Druck hatte bis dato noch keinen Erfolg gezeitigt. Weder der amerikanischen Botschaft in Teheran noch dem Außenministerium in Washington war es gelungen, ihnen zu helfen; und wenn Kissinger ebenfalls versagen sollte, dann bedeutete das das Ende aller Hoffnungen in dieser Richtung.
Was blieb ihnen dann noch?
Gewalt.
Das Telefon klingelte. Perot stürzte sich auf den Apparat.
»Ross Perot.«
»Lloyd Briggs hier.«
»Sind sie draußen?«
»Nein.«
»Was ist los?« fragte Perot schockiert.
»Wir haben mit dem Gefängnis Kontakt aufgenommen. Es liegt dort keinerlei Entlassungsanweisung für Paul und Bill vor.«
Perot schloß die Augen. Das Schlimmste war eingetroffen. Kissinger hatte es nicht geschafft.
Er seufzte. »Dank dir trotzdem, Lloyd.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Perot.
Aber er wußte es.
Er verabschiedete sich von Briggs und legte auf.
Er würde sich nicht geschlagen geben. Er würde seine Mitarbeiter nicht im Gefängnis schmoren lassen.Ein weiteres Prinzip seines Vaters hatte gelautet: Kümmere dich um die Menschen, die für dich arbeiten. Perot konnte sich noch gut erinnern, wie die ganze Familie sonntags fast zwanzig Kilometer weit fuhr, nur um einen alten Schwarzen, der bei ihnen den Rasen gemäht hatte, zu besuchen und sich zu vergewissern, daß es ihm gut ging und daß er genug zu essen hatte. Perots Vater stellte Leute ein, die er eigentlich nicht brauchte – nur, weil sie keine Arbeit hatten. Jedes Jahr besuchten die Perots den Jahrmarkt, ihren Wagen voller farbiger Angestellter, von denen jeder ein kleines Taschengeld und eine Visitenkarte der Perots erhielt, die ihn vor Belästigungen schützen sollte. Perot erinnerte sich an einen, der auf einem Güterzug nach Kalifornien gefahren war und, als er dort wegen Landstreicherei verhaftet wurde, die Visitenkarte seines Vaters vorgezeigt hatte. Der Sheriff hatte darauf gemeint: »Ganz egal, wessen Nigger du bist – du wanderst ins Kittchen.« Aber er hatte Perot senior angerufen, und der wies das Fahrgeld für den Mann telegrafisch an. »Ich war in Kalifornien, und jetzt bin ich wieder hier«, sagte der Mann, als er wieder in Texarkana ankam. Und Perot senior gab ihm seinen Job zurück.
Perots Vater hatte nichts von Menschenrechten gewußt – es war ganz einfach seine Art und Weise, seine Mitmenschen zu behandeln. Daß seine Eltern außergewöhnliche Menschen waren, wurde Ross Perot erst klar, als er heranwuchs.
*
Wieder griff er zum Telefon. »Verbinde mich mit T. J. Marquez.«
Es war zwar zwei Uhr morgens, aber das würde T. J. nicht sonderlich überraschen: Es wäre nicht das erste Mal, daß Perot ihn mitten in der Nacht weckte, und es würde auch nicht das letzte Mal sein.
»Hallo«, meldete sich eine verschlafene Stimme.
»Es sieht schlecht aus, Tom.«
»Inwiefern?«
»Sie sind nicht entlassen
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