Auf den Schwingen des Adlers
irgendwie brachten sie eine radebrechende Unterhaltung zustande. Paul erfuhr, daß sein Gesprächspartner ein angesehener Geschäftsmann gewesen war und in London eine Baufirma sowie ein Hotel besaß. Paul zeigte ihm Bilder von Karen und Ann Marie, die Taylor mitgebracht hatte, und der alte Mann lernte ihre Namen. Welche Verbrechen er begangen hatte oder welche Vorwürfe man ihm im einzelnen machte, war Paul völlig gleichgültig; er empfand jedoch die Anteilnahme und Wärme, die er den Ausländern gegenüber an den Tag legte, als enorm ermutigend.
Auch die Tapferkeit seiner EDS-Kollegen in Teheran bewegte ihn. Bei jeder ihrer Fahrten ins Gefängnis durch die von Straßenkämpfen erschütterte Stadt hatten Lloyd Briggs, der inzwischen in New York war, Rich Gallagher, der Teheran nie verlassen hatte, und Keane Taylor, der zurückgekehrt war, ihr Leben riskiert. Außerdem bestand jederzeit die Gefahr, daß Dadgar plötzlich auf die Idee kam, sie als zusätzliche Geiseln zu kassieren.
Anfangs hatte Paul sich eingebildet, er könne jede Minute entlassen werden; jetzt redete er sich ein, es könne jeden Tag passieren.
Einer ihrer Zellengenossen war entlassen worden: Lucio Randone, ein italienischer Architekt, der bei der Baufirma Condotti d’Acqua angestellt war. Später besuchte Randone sie, brachte zwei große Tafeln italienischer Schokolade mit und erzählte Paul und Bill, daß er mit dem Botschafter seines Landes in Teheran über ihren Fall gesprochen habe. Der Botschafter habe versprochen, seinen amerikanischen Kollegen aufzusuchen und ihm das Geheimnis zu verraten, wie man seine Landsleute aus einem Gefängnis herausbringt. Die meiste Nahrungjedoch erhielt Pauls Optimismus durch Dr. Ahmad Houman, den Rechtsanwalt, den Briggs anstelle der iranischen Berater engagiert hatte, die sie in der Frage der Kaution so schlecht beraten hatten.
Houman hatte Paul und Bill während der ersten Haftwoche besucht und behauptet:
»Dadgar will sich bloß einen Namen machen.«
War das der Grund? Ein übereifriger Ankläger, der bei seinen Vorgesetzten – oder vielleicht bei den Revolutionären – mit seiner anti-amerikanischen Emsigkeit Eindruck schinden wollte?
»Dadgars Amt ist ziemlich einflußreich«, fuhr Houman fort, »aber in diesem Fall hat er sich aufs Glatteis begeben. Er hatte keinerlei Grund, Sie verhaften zu lassen, und die Kautionssumme ist astronomisch hoch.«
Paul begann, auf Houman einige Hoffnungen zu setzen. Der Anwalt schien sich auszukennen und wirkte zuversichtlich.
»Was werden Sie also unternehmen?«
»Ich werde mich für eine Reduzierung der Kautionssumme einsetzen.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?«
»Zuerst werde ich mit Dadgar sprechen. Ich hoffe, ihn davon überzeugen zu können, daß die Kaution exorbitant ist. Wenn er keine Einsicht zeigt, werde ich mich direkt an seine Vorgesetzten im Justizministerium wenden und sie veranlassen, ihm den Auftrag zu geben, die Kaution zu reduzieren.«
»Und wie lange werden Sie dafür wohl brauchen?«
»Vielleicht eine Woche.«
Es dauerte länger als eine Woche, aber Houman machte Fortschritte. Wieder kam er ins Gefängnis und berichtete, daß Dadgars Vorgesetzte sich bereit erklärt hätten, die Kaution auf eine Summe zu reduzieren, die von EDS ohne weitere Schwierigkeiten aus gegenwärtig im Iran verfügbaren Geldreserven würde bezahlt werden können.Voller Verachtung gegen Dadgar und Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten verkündete Houman, die ganze Angelegenheit würde bei einem zweiten Treffen zwischen Paul, Bill und Dadgar am elften Januar endgültig bereinigt werden.
Tatsächlich tauchte Dadgar an jenem Tag wieder im Gefängnis auf und wollte, wie zuvor schon einmal, zunächst Paul alleine sprechen. Paul war sehr zuversichtlich, als er, von einem Aufseher begleitet, den Hof überquerte. Dadgar ist nichts als ein übereifriger Ankläger, der von seinen Vorgesetzten zusammengestaucht worden ist und jetzt zu Kreuze kriechen muß, dachte er.
Dadgar, neben sich die Dolmetscherin, erwartete ihn bereits. Er nickte nur, und Paul setzte sich. Besonders demütig sieht der ja nicht aus, schoß es ihm durch den Kopf.
Dadgar sagte etwas in Farsi und Mrs. Nurbasch übersetzte: »Wir wollen mit Ihnen über die Höhe der Kaution sprechen.«
»Gut«, sagte Paul.
»Mr. Dadgar hat dazu von offizieller Seite einen Brief aus dem Ministerium für Gesundheit und Soziales erhalten.«
Sie fing an, den Brief zu übersetzen.
Die Ministerialbeamten
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