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Auf den Schwingen des Adlers

Auf den Schwingen des Adlers

Titel: Auf den Schwingen des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Rede sparenkönnen, dachte er. Ebensogut hätte ich Kinderreime herunterleiern können. Dadgar bleibt unbeugsam.
    *
    Paul war zutiefst niedergeschlagen. Er lag auf seiner Matratze und betrachtete die Bilder von Karen und Ann Marie, die er an der Unterseite des über ihm befindlichen Bettes befestigt hatte. Sie fehlten ihm. Genauso wie Ruthie.
    Er zündete sich eine Zigarette an. Er war erkältet. In diesem Gefängnis fror er ständig. Er konnte sich nicht dazu aufraffen, irgend etwas zu tun; weder wollte er im ›Chattanooga Room‹ Tee trinken, noch wollte er die Nachrichten im Fernsehen sehen. Er verstand das Kauderwelsch ohnehin nicht. Er wollte nicht mit Bill Schach spielen und sich auch kein neues Buch aus der Bibliothek holen. Die ›Dornenvögel‹ von Colleen McCullough hatte er bereits gelesen, sogar dreimal. Auch ›Hawaii‹ von James Mitchener, ›Airport‹ von Arthur Hailey und das ›Guinness Book of Records‹ hatte er gelesen. Jetzt war er so weit, daß er sein ganzes Leben lang kein Buch mehr anrühren wollte.
    Manchmal überlegte er, was er tun würde, sobald er hier raus war. Er dachte an sein Boot und ans Angeln, seine beiden Lieblingshobbys. Aber auch dabei überkamen ihn Depressionen.
    Bisher hatte er als erwachsener Mensch niemals überlegen müssen, was er wann tun würde. Er hatte immer genug zu tun gehabt. Im Büro war er normalerweise drei Tage mit seiner Arbeit im Rückstand. Nie in seinem Leben hatte er müßig herumgelegen, geraucht und sich darüber den Kopf zerbrochen, wie er sich bei Laune halten könne.
    Das Allerschlimmste aber war die Hilflosigkeit. Als Angestellter war er zwar stets von den Entscheidungenseines Chefs abhängig, hatte aber immer in dem Bewußtsein gelebt, jederzeit die Freiheit zu haben, den Krempel hinzuschmeißen. Die Entscheidung darüber hatte in letzter Instanz bei ihm selbst gelegen.
    In seiner gegenwärtigen Situation konnte er über sein Leben nicht mehr selbst entscheiden. Während er bei allen anderen Problemen, mit denen er sich bislang konfrontiert gesehen hatte, dieses oder jenes unternehmen konnte, um ihrer ledig zu werden, waren ihm jetzt die Hände gebunden. Er konnte nur noch herumsitzen und Trübsal blasen.
    Er merkte, daß er bisher nicht gewußt hatte, was Freiheit bedeutete. Es war ihm erst klar geworden, nachdem er sie verloren hatte.
    *
    Die Demonstration verlief verhältnismäßig friedlich. Abgesehen von ein paar brennenden Autos gab es keine Anzeichen von Gewalt. Die Demonstranten marschierten mit Khomeini-Bildern hin und her und steckten Blumen in die Panzerluken. Die Soldaten sahen untätig zu.
    Der Verkehr war zum Stillstand gekommen.
    Es war der vierzehnte Januar, ein Tag nach Simons’ und Pochés Ankunft. Boulware war nach Paris zurückgeflogen und wartete dort mit den vier anderen auf einen Flug nach Teheran. Unterdessen fuhren Simons, Coburn und Poché in die Innenstadt, um das Gefängnis auszukundschaften.
    Nach kurzer Zeit stellte Poché den Motor ab, blieb schweigend hinter dem Steuer sitzen und ließ wie üblich keinerlei Gefühlsregung erkennen.
    Simons, der neben ihm saß, war dagegen geradezu lebhaft. »Das ist Geschichte, was sich da vor unseren Augen abspielt!« sagte er. »Nicht viele Leute bekommen die Chance, eine Revolution aus nächster Nähe zu sehen.«
    Für Geschichte hatte Simons ein Faible, und auf Revolutionen war er spezialisiert. Als Simons bei der Ankunft am Flughafen nach seiner Beschäftigung und dem Zweck seines Besuchs gefragt worden war, hatte er geantwortet, er sei Farmer im Ruhestand und dies sei wahrscheinlich die einzige Chance für ihn, jemals eine Revolution mitzuerleben.
    Er hatte die Wahrheit gesagt.
    Coburn war dagegen alles andere als begeistert von der Situation. Es machte ihm nicht den geringsten Spaß, in einem kleinen R 4 zu hocken, umgeben von leicht erregbaren islamischen Fanatikern. Trotz seines frisch gesprossenen Bartes sah er keineswegs aus wie ein Iraner. Auch von Poché konnte man das nicht sagen. Anders schon Simons: Sein Haar war gewachsen, er hatte einen dunklen Teint und eine große Nase, und der Bart, den er sich hatte stehen lassen, war weiß. Drück ihm eine Gebetskette in die Hand und stell ihn an eine Straßenecke – kein Mensch kommt auf die Idee, er könne Amerikaner sein, dachte Coburn.
    Aber die Menge interessierte sich nicht für die Amerikaner, und schließlich fühlte sich Coburn sicher genug, um das Auto zu verlassen und in eine Bäckerei zu gehen. Er kaufte

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