Auf den Schwingen des Adlers
und das bedeutete, daß sie sich zumindest auf einen langen Gefängnisaufenthalt gefaßt machen mußten. Bill hatte das Gefühl, daß mit dem Schah auch die letzte Chance auf eine proamerikanische Lösung im Iran schwand. Jetzt würden das Chaos und die Gefahr für die Amerikaner im Lande noch wachsen, und für Paul und Bill sanken die Chancen auf eine schnelle Entlassung.
Kurz nachdem das Fernsehen gezeigt hatte, wie sich die Maschine des Schahs in die Lüfte erhob, vernahm Bill von außerhalb des Gefängnisses Geräusche, die von einer entfernten Menschenmenge zu kommen schienen. Der Lärm schwoll rasch zu einer Kakophonie aus Schreien, Hochrufen und Autohupen an. Dann zeigte das Fernsehen, wo der Krach herkam: von Hunderttausenden von Iranern, die durch die Straßen wogten und immer wieder schrieen: »Shah raft!« –
»Der Schah ist weg!« Paul meinte, es erinnere ihn an die Neujahrsparade in Philadelphia. Alle Autos fuhren mit aufgeblendetem Licht, die meisten hupten ununterbrochen. Viele Fahrer hatten ihre Scheibenwischer nach vorne geklappt, Lappen daran gehängt und sie eingeschaltet, so daß sie sich ununterbrochen von einer Seite auf die andere bewegten, wie automatische Fahnenschwenker. Ganze Lastwagen voller siegestrunkener Jugendlicher karriolten durch die Straßen, und überall in der Stadt wurden Schahdenkmäler von den Menschenmassen niedergerissen und zerschmettert. Bill fragte sich, was als nächstes geschehen würde. Was würde der Mob, was würden die Aufseher und die Mitgefangenen jetzt tun? War es nicht denkbar, daß nun, nachdem sich die lange aufgestauten Emotionen der Iraner in einer Massenhysterie entluden, die Amerikaner zur Zielscheibe des Volkszorns würden?
Den Rest des Tages verbrachten er und Paul in der Zelle und versuchten, möglichst nicht aufzufallen. Sie lagen inihren Kojen und sprachen über Belanglosigkeiten. Paul rauchte. Bill versuchte, nicht an die schreckenerregenden Fernsehbilder zu denken, doch das Gebrüll der an kein Gesetz mehr gebundenen Masse, der kollektive Schrei revolutionären Triumphs, drang durch die Gefängnismauern und vibrierte in seinen Ohren wie das betäubende Krachen und Grollen des Donners unmittelbar nach dem Blitzschlag.
Am Morgen des achtzehnten Januar, zwei Tage später also, kam ein Aufseher in die Zelle Nr. 5 und sagte etwas auf Farsi zu Reza Neghabat, dem ehemaligen stellvertretenden Minister.
Neghabat übersetzte: »Sie sollen Ihre Sachen zusammensuchen. Sie werden verlegt.«
»Wohin?« fragte Paul.
»In ein anderes Gefängnis.«
Bill befürchtete sofort das Schlimmste. In was für ein Gefängnis sollten sie kommen? Womöglich in eins, wo man gefoltert und umgebracht wurde? Würde EDS erfahren, wohin sie gebracht wurden? Oder sollten er und Paul einfach verschwinden? Das Gefängnis, in dem sie saßen, war zwar kein Paradies, aber immerhin eine Hölle, in der sie sich schon auskannten.
Der Wächter sagte wieder etwas, und Neghabat dolmetschte: »Er meint, Sie sollten sich keine Sorgen machen; es geschieht nur zu Ihrem eigenen Besten.«
Ihre Zahnbürsten, ihren Rasierapparat und ihre paar Kleidungsstücke hatten sie in wenigen Minuten zusammengepackt. Dann setzten sie sich wieder hin und warteten – drei Stunden lang. Es war nervenaufreibend. Paul bat Neghabat, den Versuch zu machen, EDS von ihrer Verlegung in Kenntnis zu setzen, wenn nötig durch Bestechung des Gefängnisleiters.
Der Zellenvater, der sich so besorgt um ihr Wohlergehen gezeigt hatte, war aufgebracht. Traurig sah er zu, wie Paul die Bilder von Karen und Ann Marie abnahm. Paulschenkte sie ihm spontan, und der alte Mann, sichtlich gerührt, bedankte sich überschwenglich.
Endlich wurden sie in den Hof geführt und zusammen mit sechs Gefangenen aus anderen Abteilungen in einen Minibus gepfercht. Bill sah sich um und versuchte herauszufinden, was sie gemeinsam hatten. Einer der Häftlinge war Franzose. Wurden etwa alle Ausländer aus Sicherheitsgründen in ein besonderes Gefängnis gebracht? Nein, es war auch ein dicker Iraner unter ihnen, der Boss jener Kellerzelle, in der sie die erste Nacht verbracht hatten.
Als der Bus aus dem Hof fuhr, wandte sich Bill an den Franzosen. »Wissen Sie, wo es hingeht?«
»Ich werde entlassen«, antwortete er.
Vor Freude schlug Bills Herz höher. Wenn das keine gute Nachricht war! Vielleicht sollten sie alle freigelassen werden? Er konzentrierte sich nun auf das Geschehen auf der Straße. Zum erstenmal seit drei Wochen bekam er die
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