Auf Den Schwingen Des Boesen

Mal die Mitte verfehlt. Zeig erst mal, dass du’s besser kannst!«
    Will schüttelte herablassend den Kopf. »Ich mag keine Knarren.«
    Kichernd lud Nathaniel nach.
    Mein genervter Seufzer war so laut, dass die beiden meine Anwesenheit bemerkten und sich zu mir umdrehten. »Ihr seid so was von albern. Zeigt mir lieber meine Überraschung.«
    Nathaniel winkte mich zum Schießstand. »Komm her, Ell.«
    Argwöhnisch trat ich näher.
    »Ich werde dir beibringen, wie man mit einer Schusswaffe umgeht.«
    »Wirklich?«, rief ich mit ungewollter Begeisterung.
    »Ja, klar!«
    Er nahm Schutzbrille und Ohrenschützer ab und reichte sie mir zusammen mit dem Revolver. Er war schwerer, als ich erwartet hatte.
    »Regel Nummer eins lautet: Laufmündung nach unten«, begann Nathaniel. »Und lass die Finger vom Abzug, bis du bereit bist zu zielen. Entsichern.« Er betätigte einen Hebel in der Nähe des Abzugs. Dann schob er ihn wieder zurück. »Und sichern.«
    »Okay.«
    Er entnahm das Magazin. »Entladen geht so. Jetzt du.«
    Ich folgte seiner Aufforderung.
    »Jetzt füll sie wieder auf. Pass auf, dass du dich nicht klemmst.«
    Mit spitzen Fingern schob ich die ersten fünf Patronen in die Trommel. Als sie fertig geladen war, schob ich sie zurück in die Waffe. »Okay.«
    »Jetzt ziel auf die Zwanzig-Meter-Scheibe. Entsichern. Finger an den Abzug. Siehst du das kleine Ding am Ende des Laufs? Das nennt man Korn. Damit peilst du dein Ziel an. Feuere erst, wenn du bereit bist. Pass auf, dass du Will nicht erwischst. Er hat sowieso schon schlechte Laune.«
    Das Lachen machte es mir schwer, die Hände ruhig zu halten, aber ich riss mich zusammen. Schritt für Schritt folgte ich seinen Anweisungen, hielt die Pistole mit ausgestreckten Armen nach vorn, atmete aus und feuerte. Die Kugel ging genau ins Schwarze.
    »Gut gemacht!«, lobte Nathaniel mich lächelnd. »Das war ja ein Kinderspiel für dich. Ich glaube, wir können gleich zu den schwierigeren Zielen übergehen.«
    Ich war ganz überrascht, dass mir das Schießenlernen so viel Spaß machte, und nachdem ich einige Magazine leergeschossen hatte, wurde ich immer besser.
    »Was hältst du davon«, sagte ich zu Will, »wenn ich meine Khopesh-Schwerter gegen eine Knarre eintausche?«
    Er schien sich zu fragen, ob meine Worte ernst gemeint waren. »Das wäre das Ende der Welt. Leider muss ich dir sagen, dass Kugeln nicht mit Engelsfeuer entflammt werden können.«
    »Wie schade«, erwiderte ich. »Dann können Schusswaffen nur etwas gegen Zombies ausrichten und nicht gegen Reaper?«
    Ich wurde mit einem kleinen Lächeln belohnt. »Filme und Computerspiele haben mit der Realität nicht viel gemeinsam.«
    »Mach mal halblang«, sagte Nathaniel. »Schusswaffen können sehr wohl ziemlich wirkungsvoll sein. Nur nicht so wirkungsvoll wie Ellies Schwerter. Aber stellt euch vor, was wir mit Engelsfeuer-Flammenwerfern ausrichten könnten!«
    In diesem Augenblick spürte ich ein leichtes Kribbeln auf der Haut und blickte zum Himmel, wo Ava durch den Limbus herbeigeflogen kam, die silbrig schimmernden, dunklen Flügel abspreizte und zu einer eleganten Landung im Schnee ansetzte. Ihr Haar war ein wenig zerzaust nach dem Flug, was ihrer Schönheit jedoch keinen Abbruch tat. Sie ließ Nathaniel und mich grußlos stehen und wandte sich ohne Umschweife an Will.
    »Ich habe eine Spur, Will. Ich glaube, ich weiß, wonach Bastian sucht, um damit den henochischen Bann zu lösen.«
    Will horchte auf und erhob sich. »Ist er kurz davor, es zu bekommen?«, fragte er ernst.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Gestern Nacht habe ich in Birmingham einen dämonischen Reaper gefangen. Ich wusste, dass er mit magischen Gegenständen handelt. Ich musste ihn ganz schön überreden, wobei auch Blut geflossen ist, aber dann hat er mir verraten, dass Bastian zu ihm gekommen ist und ihn nach einer Halskette gefragt hat.«
    »Eine Halskette?«, fragte ich. »Wie soll eine Halskette einen engelhaften Bann brechen können? Es sei denn, er will sie sich umhängen, um hübsch auszusehen …«
    »Es handelt sich um eine Reliquie«, sagte sie und warf mir einen genervten Blick zu.
    Bei dem Begriff klingelte etwas bei mir. Reliquien waren sehr machtvolle magische Gegenstände, die ihrem Besitzer ungeheure Macht verliehen, um etwas zu entfesseln oder um einen Engel oder einen der Gefallenen herbeizurufen. Die Möglichkeiten waren vielfältig und furchterregend.
    »Er sucht doch nicht etwa nach meiner Halskette,