Auf Den Schwingen Des Boesen
durchbohrt. Ich hatte alles geplant, bis auf das, was ich sagen würde, wenn Will eintraf.
»Ellie«, sagte er sanft. »Was machst du hier?«
»Ich müsste dich begleiten«, sagte ich. »Wir sind ein Team. Ich hab mich von der Schule beurlauben lassen, also nimm mich mit.«
Dann lächelte er, was mich gleichzeitig erschreckte und erleichterte. »Na gut. Ehrlich gesagt, bin ich froh, dass du hier bist. Ich wollte keine Mission ohne dich ausführen.«
»Ich bin bereit.«
Sein Lächeln wurde strahlender. »Dann lass uns gehen.«
»Unterdrück deine Energie«, sagte Ava. »Die Reliquie befindet sich schon seit sehr langer Zeit in Zanes Obhut, und er spürt bestimmt, dass wir kommen. Er soll sich nicht bedroht fühlen. Er richtet oft Schaden an und stellt erst dann Fragen – und glaub mir, er kann eine Menge Schaden anrichten.«
»Aber wird er dich denn nicht wiedererkennen?« Ich fragte mich, wieso er uns angreifen sollte, wo er Ava doch kannte.
Sie grinste. »Wie ich schon sagte. Ich stehe ziemlich weit unten auf seiner Beliebtheitsskala – und das seit Jahrzehnten.«
»Bleib ganz ruhig«, riet Will mir. »Wir rechnen nicht mit einem Kampf. Sei einfach nur ein bisschen auf der Hut.«
Seine Worte lockerten meine Anspannung ein wenig, trotzdem hatte ich das ungute Gefühl, dass schon jetzt irgendetwas in die völlig falsche Richtung lief. Wir gingen hinauf in den zweiten Stock und standen bald vor Apartment 310. Der Rahmen der angelehnten Tür war zersplittert, als hätte sie jemand gewaltsam geöffnet. Mein ungutes Gefühl verstärkte sich. Ich wusste, dass wir zu spät gekommen waren.
Ava verlor keine Zeit und schob vorsichtig die Tür auf. Sie ließ die langen, messerscharfen Krallen aus ihren Fingerspitzen hervorschießen und schlich ins Wohnzimmer. Will folgte, rief sein Schwert herbei und betrat neben ihr den Raum, wobei er dicht an der Wand blieb.
Es sah aus, als wäre ein Tornado durch das Wohnzimmer gefegt. Aus den zerfetzten Sofas quollen Schaumstoffteile und bedeckten den Teppich wie Schnee. Beistelltische waren umgeworfen und zerbrochen worden. Jemand hatte den Fernseher zertrümmert, und Glas- und Kunststoffsplitter lagen überall herum. Mittendrin eine umgekippte Topfpflanze. Mit bleichem Gesicht und versteinerter Miene untersuchte Ava den Raum.
Mit einem Mal stieg mir ein ekelerregender Fäulnisgeruch in die Nase, der mich fast zum Würgen brachte. Irgendetwas verweste hier offensichtlich. »Oh, Gott«, stöhnte ich. »Was ist das denn?« Der Reliquienbewahrer konnte es nicht sein, da Reaper nicht verwesen, wenn sie sterben. Entweder sie verbrennen im Engels- oder Dämonenfeuer, oder sie werden zu Stein. Kam es von einem Menschen?
Will ging an mir vorbei und folgte dem Gestank in Richtung Küche, blieb jedoch mit erstarrter Miene in der Tür stehen. Zu seinen Füßen war eine Blutspur, die sich von der Küche bis ins Esszimmer zog.
»Was ist es?«, fragte ich mit bebender Stimme.
»Komm nicht her«, warnte er mich. »Bleib, wo du bist, Ellie!«
»Ist es eine Leiche?«
Mein Herzschlag geriet ins Stocken, als er nickte. »Eine Frau. Vielleicht hat sie was gehört und wollte nachschauen, was los war. Ihr Gesicht ist völlig entstellt, und der Brustkorb wurde aufgerissen. Das kann nur ein hungriger Reaper gewesen sein. Anscheinend ein dämonischer Vir, denn ich sehe keine großen Bisswunden.«
»Wie lange liegt sie wohl schon da?«, fragte ich und hatte Mühe, gegen die aufsteigende Übelkeit anzukämpfen. Bilder von brutalen Reaper-Morden, die ich in der Vergangenheit gesehen hatte, kamen mir in den Sinn. Und ich war froh, dass Will mir befohlen hatte, mich nicht vom Fleck zu rühren. Ich sah meinen eigenen halb aufgefressenen Körper zu Füßen des geheimnisvollen Vir liegen, vor dem Cadan mich gewarnt hatte.
»Ein paar Tage«, sagte Will, ohne aufzuschauen.
Ava biss die Zähne zusammen und stapfte zu den hinteren Zimmern. Sie trat eine Tür ein, und nach einem kurzen Blick in das erste Schlafzimmer ging sie weiter zum zweiten. Will und ich folgten ihr. Der Raum war vollkommen verwüstet, und an den Wänden und auf dem Teppich waren eingetrocknete Blutspritzer zu erkennen.
Und dann sah ich es, das Häufchen grauer Steine. Wir hatten Zane gefunden.
Zögernd näherte Ava sich den Trümmern und kniete davor nieder. Sie ergriff den größten der Steine und strich mit dem Daumen über die versteinerten Lippen und ein Stück Wange – die letzten Überreste von Zanes Gesicht. Ava ließ die
Weitere Kostenlose Bücher