Auf Den Schwingen Des Boesen
reden.«
Ich ließ die Hände sinken. »Ich hab dir gesagt, du sollst verschwinden.«
Einen kurzen Moment lang presste er frustriert die Lippen zusammen. »Bitte, Ellie, komm wieder rein, bevor du dich zu Tode frierst.«
Die nächsten Worte krächzte ich ganz langsam und betonte jedes Wort, um ihm klarzumachen, dass es mir todernst war. »Du hast meinen richtigen Vater als Mörder meiner Mutter verleumdet. Wenn du nicht augenblicklich hier verschwindest, schlag ich dir den Kopf von den Schultern. Du weißt besser als jeder andere, dass ich dazu problemlos in der Lage bin.«
Nach einem langen schmerzlichen Moment erhob er sich. Statt zu ihm aufzuschauen, starrte ich auf die schneebedeckten Fußbodenbretter der Terrasse.
»Es tut mir leid, Ellie«, sagte er mit kühler, formeller Stimme. »Aber alles, was ich tue, dient nur dazu, dich zu beschützen, koste es, was es wolle, selbst wenn es heißt, den guten Ruf deines Vaters zu opfern. Ich bin sicher, dass er ein guter Mensch war, aber seit Jahren ist dieses Wesen, das du für deinen Vater gehalten hast, nicht mehr er gewesen. Es ist sehr traurig, was deiner Familie zugestoßen ist, aber du musst einsehen, dass wir nicht riskieren dürfen, unsere Welt für die Welt der Menschen sichtbar zu machen. Ich hoffe, du wirst mir eines Tages verzeihen.«
Ich hob den Kopf und erwiderte seinen unerschütterlichen Blick. Unsere Welt. Meine Familie war meine Welt. Dieser Alptraum, in dem ich an meinem siebzehnten Geburtstag gelandet war, würde das niemals ändern können. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn angeschrien, aber es hätte mir nichts genützt. Wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst davor, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Seit langer Zeit hatte ich zum ersten Mal die Kontrolle über meine Macht verloren, und meinen bruchstückhaften Erinnerungen zufolge hatte ich Will und Nathaniel verletzt. Ich hatte sie übel zugerichtet und wurde deshalb von schrecklichen Schuldgefühlen geplagt. Aber mein schlechtes Gewissen brachte mich nicht dazu, Will zu vergeben, was er dem Namen meines Vaters angetan hatte.
Sein Blick verfinsterte sich. »Deine Mutter hat mit aller Kraft um ihr Leben gekämpft, und du hast nichts Besseres zu tun, als deines wegzuwerfen.«
Damit drehte er sich um und ging zurück ins Haus.
Ich folgte ihm nicht. Stattdessen zog ich mein Handy aus der Tasche. Ich hatte elf Mailbox-Nachrichten, allesamt von Kate, einer meiner letzten Verbindungen zur Menschenwelt. Ansonsten gab es nur noch mich und die Dunkelheit.
Die Beerdigung meiner Mutter rauschte wie im Nebel an mir vorbei. Längst vergessene entfernte Bekannte und Verwandte waren gekommen, hatten ihr Beileid ausgesprochen und mich mechanisch umarmt. Alle sahen mich mitleidig an, bei einigen spürte ich Angst. Das kleine Mädchen, dessen Daddy ihre Mama getötet hatte und dann geflohen war. Als ich an den Sarg meiner Mutter trat, sah ich, dass man sie hergerichtet hatte. Nichts deutete darauf hin, dass ihr Genick zertrümmert worden war, niemand sah die Risse in ihrem Schädel oder die Blutergüsse und Platzwunden unter all dem Make-up. Sie hatten sogar Lippenstift aufgetragen. Ich berührte ihr Gesicht, und ihre Haut fühlte sich hart und kalt an. Nichts erinnerte an ihre vertraute Weichheit und Wärme. Sie sah aus wie eine starre Puppe und trug ein Kostüm, das sie immer gehasst und nie getragen hatte. Deshalb sah es auch so nagelneu aus. Wahrscheinlich hatte meine Grandma es ausgesucht. Wie krank, dachte ich, wenn man die Kleider aussuchen musste, in denen die eigene Tochter beerdigt werden sollte. Vielleicht war es sogar noch schlimmer für die arme Visagistin, die sie frisiert und geschminkt hatte. Trotzdem konnten sie sich alle glücklich schätzen. Denn niemand außer mir hatte sie sterben sehen.
Ich fühlte die seltsamen Blicke der Trauergäste, die erwartet hatten, dass ich weinte. Das würde nicht geschehen. Nana, wie ich meine Grandma nannte, hatte mich gebeten, bei der Beisetzung etwas über meine Mutter zu sagen, aber das war mir nicht möglich. Ich brachte es nicht über mich, nach vorn zu gehen und mich den Blicken aller Anwesenden auszusetzen, deren Gedanken ich mir nur allzu gut vorstellen konnte. Stattdessen stand Nana auf, sprach über das freundliche, großzügige Wesen meiner Mutter und betonte, was für eine wundervolle Tochter und Mutter sie gewesen war. Über meinen Vater sagte Nana kein Wort, was wohl eine kluge Entscheidung war. An diesem Tag taten alle
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