Auf Den Schwingen Des Boesen
reden. Ich brauchte sie.
Hastig drehte ich mich zur Seite, damit sie die Tränen nicht sah, die mir in die Augen gestiegen waren. »Ja. Dann bis morgen.«
Bevor sie etwas erwidern konnte, marschierte ich durch den Flur davon und ließ sie am Schließfach stehen. Als ich die Tür zum Schülerparkplatz aufstieß, sah ich den letzten Menschen auf der Welt, den ich sehen wollte, am Kühler meines Wagens lehnen. Ich wischte die Tränen weg, die meine Gefühle verraten hätten, und ging unter den neugierigen Blicken einiger Mitschüler auf ihn zu.
»Was machst du hier?«, fragte ich, und meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
Wills grüne Augen, die bis dahin sanft und besorgt geblickt hatten, blitzten hell auf, als hätten meine Worte ihn verletzt. »Ich wollte nur wissen, ob du deinen ersten Schultag gut überstanden hast. Ob es dir gut geht.«
Ich ging an ihm vorbei zur Fahrertür. »Ich hab’s überlebt, wie du siehst.«
Er folgte mir. »Ich will nicht streiten.«
Plötzlich wurde mir klar, dass wir seit Tagen nicht miteinander gesprochen hatten, was sehr ungewöhnlich war. Gesehen hatte ich ihn jeden Tag. Ich war so sehr an seine Nähe gewöhnt, die mich ganz einzuhüllen schien, und selbst wenn ich stinksauer auf ihn war, bemerkte ich seine Abwesenheit sofort. Ich vermisste ihn. Ich vermisste ihn sogar jetzt, obwohl er höchstens einen Meter von mir entfernt war. Aber ich war immer noch zu wütend, um mir die Wirkung einzugestehen, die er auf mich ausübte.
»Hör mir doch bitte zu«, bat Will.
Ich öffnete den Mund, um ihn zu unterbrechen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Ich habe getan, was ich tun musste. Ich weiß, du kannst das nicht verstehen, und das erwarte ich auch nicht, Ellie. Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe.« Er berührte mein Gesicht. Trotz der Eiseskälte waren seine Finger angenehm warm. »Du weißt, dass ich dir niemals mit Absicht wehtun würde.«
Von einem plötzlichen Schwindelgefühl überkommen schloss ich die Augen und schluckte. »Ganz unabhängig davon, was du wolltest«, sagte ich langsam, »hast du mich sehr verletzt. Und ich bin noch nicht bereit, dir zu verzeihen.«
Er nahm meine Hand und zog sie an seine Lippen. Als er meine Handfläche küsste, flatterten Schmetterlinge in meiner Brust auf, bis er mich wieder mit schmerzerfülltem Blick ansah. »Bitte, bitte verzeih mir. Ich kann es nicht ertragen, wie du mich jetzt anschaust.«
Ich rückte von ihm weg. »Lass uns im Auto reden.«
Nachdem ich eingestiegen war und er sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen hatte, verharrten wir in unbehaglichem Schweigen.
»Sie wollte sich von ihm scheiden lassen«, gestand ich ihm schließlich. »Sie wollte raus aus der Ehe, sich in Sicherheit bringen. Aber wir sind zu spät gekommen. Ich kam zu spät, um sie zu retten.«
»Gib dir nicht die Schuld«, flüsterte er.
Ich schluckte. »Das sagen alle zu mir, aber das ändert nichts an meinen Schuldgefühlen.«
»Ich weiß. Aber es war wirklich nicht deine Schuld.«
Wenn ich ihm weiter widersprochen hätte, wäre ich nur wütend geworden, und das wollte ich um jeden Preis vermeiden. Ich hatte es satt, mit ihm zu streiten.
»Du kannst doch verstehen, warum ich es getan habe, oder?«, fragte er kleinlaut.
Er ging nicht ins Detail, doch ich wusste, was er meinte. »Gab es denn wirklich keine andere Möglichkeit?«
»Vielleicht hätte es eine gegeben«, lenkte er ein. »Das will ich nicht ausschließen. Aber Nathaniel und ich haben eine Entscheidung getroffen. Der Reaper sagte, er hätte deinen Vater schon vor Jahren getötet, und wir haben keine Leiche, die von der Polizei gefunden werden könnte. Dein Vater wäre sowieso unter Verdacht geraten. So war es die logischste und sicherste Lösung für dich.«
Ich warf ihm einen zornigen Blick zu. »Mein richtiger Dad war ein guter Mensch, Will. Er ist ein Opfer, und jetzt hält ihn die ganze Welt für ein Monster. Er war nie ein Monster. Er ist von einem Monster umgebracht worden, und jetzt müssen meine Familie und ich für immer mit dieser Lüge leben!«
Ich holte tief Luft, um den Zorn aus meiner Stimme zu vertreiben. »Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Ich wollte weder dir noch Nathaniel jemals Schaden zufügen. Ich wusste nicht, dass du mich zurückhalten wolltest.«
»Du wolltest mich nicht töten«, sagte Will. »Du wolltest dich und deine Mutter verteidigen.«
»Ob ich versucht habe, dich zu töten oder nicht, ich hätte es beinahe
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