Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
hielt, selbst wenn er sie berührte.
    Alex seufzte. »Du wirst doch hoffentlich nicht anfangen, mich plötzlich anzuhimmeln?« sagte er. »Das hast du nie gemacht.«
    Cassie lächelte ein bißchen. Sie hatte absichtlich geschwiegen; je weniger sie sagte, desto weniger machte sie sich lächerlich. »Ich muß mich erst an alles gewöhnen«, sagte sie. Ihr Blick fiel auf die weißen Spitzenvorhänge, das Kaffeetischchen aus gebeiztem Holz, das rosa Marmorbecken in der Bar.
    Alex beugte sich vor, um ihr einen Kuß auf die Stirn zu hauchen, und unwillkürlich verkrampfte sie sich. Seit Alex sie auf dem Revier abgeholt hatte, hatte er nichts dabei gefunden, sie zu berühren. Eigentlich war es lächerlich, daß sie so aufgedreht war wie bei einem Blind Date; schließlich hatte Alex ihr versichert, daß sie seit mehr als drei Jahren miteinander verheiratet waren. Trotzdem schien sie sich nicht in der Alltagsroutine einer Ehe sehen zu können. Statt dessen blitzten in ihrem Kopf immer wieder Bilder auf, die ihr die Medien eingegeben haben mußten: Alex Rivers auf einem Gala-Empfang zugunsten der Aidsforschung, Alex Rivers bei der Golden-Globe-Verleihung, Alex Rivers bei einer Drehpause von Robinson Crusoe, wie er mit Kokosnüssen jongliert.
    Plötzlich stand er auf, in Sonnenschein gebadet, und Cassie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Sie erinnerte sich nicht an Alex, sie fühlte sich unbehaglich in seiner Nähe, aber er faszinierte sie. Der silberne Glanz seiner Augen, das stolze Kinn, die starken Halsmuskeln zogen sie in Bann. Sie studierte ihn, als sei er Michelangelos David: geschmeidig, schön, aber viel zu durchdrungen von der eigenen Vollkommenheit, um für sie bestimmt zu sein.
    »Gut, daß wir hierher gefahren sind«, meinte Alex. »Wenn dich das Apartment schon so beeindruckt, was wirst du dann erst von unserem Haus halten.«
    Auf dem Weg nach Malibu hatte Alex Cassies Gedächtnis zu wecken versucht, indem er ihr ihre drei Wohnsitze beschrieb: das Haus in Bel-Air, das Apartment in Malibu und die Ranch außerhalb von Aspen, Colorado. Alex hatte ihr erklärt, daß sie die meiste Zeit im Haus verbrächten, daß aber Cassie das Apartment immer vorgezogen habe, weil sie es nach ihrer Hochzeit neu eingerichtet hatte.
    »Wie ist es?« hatte sie nachgehakt, da sie gierig auf ein Detail hoffte, das ihre Vergangenheit befreien würde.
    Alex hatte nur die Schultern hochgezogen. »Klein.«
    Doch als der Range-Rover vor dem riesigen, weißgekalkten Haus anhielt, hatte Cassie sprachlos die abgerundeten Mauern, die kleinen Türmchen, die vielen Ebenen bestaunt. Klein war das bestimmt nicht. »Das ist ja ein Schloß«, hatte sie gehaucht, und Alex hatte sie in die Arme genommen. »Genau dasselbe hast du gesagt, als du es zum ersten Mal gesehen hast.«
    »Cassie?« Sie zuckte zusammen, als sie jetzt ihren Namen hörte. Sie hatte das Telefon nicht einmal klingeln hören, aber Alex hielt den Hörer in der Hand und hatte die Sprechmuschel abgedeckt. »Herb sagt, er kann nicht schlafen, bevor er sich überzeugt hat, daß mit dir alles in Ordnung ist.« Er machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr über die Wange. Sein Blick verdunkelte sich. »Also, mir ist das gleich«, meinte er. »Du mußt dich ausruhen.«
    Er nahm den Hörer wieder hoch. »Nein, Herb«, sagte er. »Fünf Minuten sind zu lang. Nein …«
    Cassie stand auf und legte die Hand auf seinen Arm. Zum ersten Mal berührte sie Alex, statt von ihm berührt zu werden. Er drehte sich um und schaute ihr in die Augen; das Telefon hatte er vollkommen vergessen. »Schon gut«, sagte sie ruhig. »Er kann gern kommen. Mir macht das nichts aus. Ich will mich nicht ausruhen.«
    Er murmelte etwas in den Hörer; sie beobachtete, wie seine Lippen die Worte formten. Sie erwartete, daß er aufhängen würde, aber das tat er nicht. Er deckte die Sprechmuschel wieder ab und kam auf sie zu, bis sie nur noch einen Atemzug voneinander entfernt waren.
    Cassie schloß die Augen nicht, als Alex sie küßte. Ihre Hand öffnete sich über seinem Arm und fiel herab. Er schmeckte nach Kaffee und Vanille. Als er sich von ihr löste, blieb sie leicht nach vorn gelehnt stehen, mit weit aufgerissenen Augen, und wartete auf die Flut von Erinnerungen, die sie bestimmt gleich überschwemmen würde.
    Aber bevor das geschehen konnte, deutete Alex hilflos auf den Hörer. »Ich muß mit ihm reden. Ich bin mitten aus den Dreharbeiten zu Macbeth abgehauen, um dich abzuholen. Der arme Herb muß jetzt alles

Weitere Kostenlose Bücher