Auf den zweiten Blick
wieder in Ordnung bringen.« Er strich ihr mit der Hand übers Haar. »Willst du dich nicht ein bißchen umsehen? Es dauert nur fünf Minuten, ehrlich.«
Während Alex sich wieder abwandte und Fragen ins Telefon zu rattern begann, wanderte Cassie nach unten in die mittlere Ebene des Apartments. Sie überlegte, ob sie sich umziehen solle, bevor Herb kam. Sie überlegte, wer Herb wohl war.
Sie ging in Richtung Schlafzimmer, wo Alex ihr vorhin einen Schrank voller Seidenkleider und bunter Baumwollsachen gezeigt hatte, die alle ihr gehörten. Sie kam durch den Bogengang, durch den Alex sie zuvor gezogen hatte. Diesmal blieb sie stehen, um die Bilder an den blendendweißen Wänden zu betrachten. Eines zeigte Alex am Strand vor dem Apartment, bis zur Brust im Sand eingegraben. Cassie selbst, grinsend und mit einem Skelett im Arm. Es gab ein Bild von einem Hund, den sie nicht wiedererkannte, und eines von Alex auf einem sich aufbäumenden Pferd. Zuletzt kam ein Foto von Cassie im Bett, mit einer weißen Decke knapp über den Brüsten und einem trägen Lächeln auf dem erhitzten Gesicht.
Sie mußte an Alex’ Kuß denken. Sie versuchte sich vorzustellen, wie seine Hände über ihren Rücken wanderten.
Sie sah sich das Bild noch einmal an und fragte sich, ob Alex es aufgenommen hatte.
Herb Silver war einssechzig groß, kahlköpfig, hatte einen Schnauzbart und spitze Ohren, die Cassie an einen Kobold erinnerten. Er wurde von Alex an der Tür empfangen und drückte ihm gleich eine fettige braune Papiertüte in die Arme. »Also, es ist doch Essenszeit, und was hat ein goj wie du wohl in der Küche?« Er beugte sich zur Seite, um an Alex’ breitem Körper vorbei nach Cassie Ausschau zu halten. Als Alex in der Tüte zu kramen begann, schob er ihn beiseite. »Ich habe ein Roggensandwich mit Pastrami und Sauerkraut für dich, und drei Knishes, und um Himmels willen iß nicht wieder die ganze forschpeis allein. Ah!« Er streckte die Arme nach Cassie aus. »Und du wolltest mir meinen dritten Herzinfarkt verpassen?«
Herb Silver war Alex’ Agent, bei der Creative Artists Agency, CAA. Er war vor zwanzig Jahren nach Kalifornien gezogen, doch er erklärte jedem, daß man vielleicht Herb Silver aus Brooklyn rauskriegen konnte, aber niemals Brooklyn aus Herb Silver. Cassie breitete die Arme aus und umarmte ihn. Er reichte ihr genau bis unters Kinn.
Herb küßte sie auf den Mund und strich dann mit den Händen über ihre Arme, als wolle er ihre Knochen untersuchen. »Und dir geht es gut?«
Cassie nickte, und Alex trat zwischen sie, um ihr ein halbes, in Papier gewickeltes Knish anzubieten. Er biß in die andere Hälfte des pikant gefüllten Gebäckteilchens. »Ihr geht es ausgezeichnet«, antwortete er mit vollem Mund.
Herb zog eine Braue hoch. »Kann das Mädchen auch selbst sprechen?«
»Mir geht es gut«, bestätigte Cassie. »Wirklich.« Sie sah erst Alex, dann Herb, dann wieder Alex an und dankte dem kleinen Mann im stillen dafür, daß er sich ihnen noch an diesem Nachmittag aufgedrängt hatte. Seit Herb das Chaos in ihrem Kopf noch vergrößert hatte, kam Alex ihr unwillkürlich vertrauter vor.
Alex legte den Arm um Herbs Schultern und führte ihn nach oben ins Eßzimmer. »Cassie - kannst du uns Teller holen? Also, Herb, erzähl mir, was Joe in Schottland so treibt.«
Dankbar, eine Aufgabe gefunden zu haben, wanderte Cassie in die Küche. Irgendwie beruhigten sie einfache Tätigkeiten wie Tellersuchen, Kochen oder Duschen, bis das Badezimmer unter Dampf stand. Alex hatte so viel weniger bedrohlich gewirkt, als sie am Vormittag etwas gemeinsam erledigt hatten - er hatte Saft ausgepreßt und sie das Eis dazu gesucht, und später hatten sie beide Paprikaschoten für ein Omelett gehackt und Papiere aufgeklaubt, die der Wind auf den Boden geweht hatte. Diese einfachen Arbeiten, die jeder tun konnte und jeder tat, hatten so etwas Intimes an sich, daß sie selbst zwischen zwei Fremden eine Atmosphäre scheinbarer Nähe und Sicherheit schufen.
Herb und Alex unterhielten sich im Eßzimmer, ein endloser Strom von Silben, den sie von Zeit zu Zeit auffing. Cassies Blick wanderte von einer Schranktür zur nächsten, während sie überlegte, wo die Teller wohl sein mochten. Sie öffnete die Tür genau vor ihrer Nase. Tischdecken und ein Brotkorb. Hinter der Tür daneben standen Weingläser.
»Joe hat die sechs mickrigen Szenen abgedreht, in denen sie dich nicht brauchen – die Hexen und irgendwas mit Banquo. Er meint, Melanie habe
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