Auf den zweiten Blick
sie wollte lieber gleich los. Schweigend saß er neben ihr im Pick-up, während sich um ihn herum die Worte auftürmten, die er ihr eigentlich hätte sagen wollen. Ich werde Sie vermissen, hatte er sich zurechtgelegt. Rufen Sie mal an. Falls irgendwas ist, dann wissen Sie ja, wo Sie mich finden können.
Jane starrte mit glasigen Augen auf den Freeway; ihre Hände hatte sie im Schoß verkrampft. Sie sprach kein Wort, bis sie auf den Parkplatz vor dem Polizeigebäude einbogen. Und dann redete sie so leise, daß Will erst glaubte, sich verhört zu haben. » Glauben Sie, daß er mich mag?«
Will hatte erwartet, daß sie sich Gedanken darüber machte, ob sie sich an ihren Mann erinnern würde, sobald sie ihn wiedersah, oder wo sie wohl wohnte. Diese Frage hatte er nicht erwartet.
Er hatte keine Gelegenheit mehr, ihr zu antworten. Eine Horde von Reportern kam auf den Pick-up zugerannt. Sie ließen Kameras aufblitzen und riefen Fragen, die sich zu unverständlichem Lärm vermengten. Jane preßte sich in den Sitz. » Kommen Sie«, sagte Will und legte ihr den Arm um die Schultern. Er zog sie zur Fahrertür. »Bleiben Sie ganz dicht bei mir.«
Wer zum Teufel war sie? Selbst wenn sie diese Barrett war, diese Anthropologin, selbst wenn sie diese Hand entdeckt hatte, kam ihm dieser Medienrummel ein bißchen übertrieben vor. Will führte Jane die Stufen hinauf und in die Eingangshalle des Reviers. Die ganze Zeit spürte er ihren warmen Atem auf seinem Schlüsselbein.
Neben Captain Watkins stand Alex Rivers.
Will ließ seinen Arm von Janes Schultern sinken. Alex Rivers, verdammt noch mal. All die Reporter und Kameras hatten gar nichts mit Jane zu tun.
Wills Mundwinkel zuckte. Jane war mit dem berühmtesten Filmstar Amerikas verheiratet. Und sie hatte das vollkommen vergessen.
Zuerst merkte sie nur, daß Will nicht mehr an ihrer Seite war. Einen Moment war sie überzeugt davon, allein nicht stehen zu können. Sie fürchtete sich davor, aufzustehen und sich all diesen Menschen zu stellen, aber irgend etwas hielt sie auf den Beinen, und sie mußte herausbekommen, was das war.
Sie hob den Kopf und wurde von Alex Rivers’ Augen festgehalten.
Tabu.
»Cassie?« Er machte einen Schritt auf sie zu, dann noch einen. Unwillkürlich trat sie näher zu Will. »Erkennst du mich?«
Natürlich erkannte sie ihn; jeder kannte ihn, mein Gott, er war schließlich Alex Rivers. Sie nickte, und in diesem Augenblick wurde ihr bewußt, wie fehlerhaft ihre Wahrnehmung geworden war. Immer wieder verschwamm sein Gesicht vor ihren Augen wie eine sommerliche Luftspiegelung über heißem Asphalt. Mal schien er glänzend und überlebensgroß; dann kam er ihr wieder wie ein ganz normaler Mensch vor.
Einen winzigen Augenblick, bevor er die Hand nach ihr ausstreckte, vereinten sich Cassies Sinne in einer umfassenden Wahrnehmung. Sie spürte die Wärme, die seine Haut ausstrahlte, sah das Licht in seinen Haaren glänzen, hörte das Flüstern, das sie beide umhüllte und aufeinander zuschob. Sie roch den sauberen Sandelholzduft seiner Rasiercreme und die Stärke in seinem Hemd. Zaghaft legte sie die Arme um seinen Leib; sie wußte genau, wo ihre Finger auf die Muskeln in seinem Rücken treffen würden. Die Anthropologin, dachte sie, erforscht, wie der Mensch sich in seine Umgebung einfügt. Sie schloß die Augen und ließ sich in die vertrauten Empfindungen fallen.
»Mein Gott, Cassie, ich hatte ja keine Ahnung. Herb hat mich in Schottland angerufen.« Sein Atem strich über ihr Ohr. »Ich liebe dich, pichouette.«
Dieses Wort ließ sie zurückweichen. Sie sah zu ihm auf, zu diesem Mann, von dem jede Frau in Amerika träumte, und trat einen Schritt zurück. »Hast du ein Bild?« fragte sie leise. »Eins, das uns irgendwo zusammen zeigt?«
Sie fragte sich nicht, warum sie vor einigen Tagen, als sie nicht klar denken konnte, Will so vorbehaltlos vertraut hatte und warum sie jetzt einen Beweis wollte, bevor sie sich von Alex Rivers wegbringen ließ. Alex legte kurz die Stirn in Falten und zog dann sein Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche. Er reichte ihr ein Hochglanzfoto, ein Hochzeitsbild.
Er war der Bräutigam, und sie war die Braut, ohne jeden Zweifel, und sie sah glücklich und sicher und behütet aus. Sie gab Alex das Bild zurück. Er steckte das Portemonnaie wieder ein und streckte ihr die Hand entgegen.
Sie starrte darauf.
Im Hintergrund hörte sie eine Sachbearbeiterin kichern. »Scheiße«, sagte die Frau, »wenn sie nicht will, gehe
Weitere Kostenlose Bücher