Auf den zweiten Blick
wirklich ihre kleinste Sorge. Sie trat zurück und musterte Ophelias Gesicht, diesmal in der Hoffnung, irgend etwas Vertrautes darin zu entdecken. »Du bist schön«, urteilte sie aufrichtig.
Ophelia wedelte abwehrend mit der gesunden Hand. »Meine Augen stehen zu dicht beieinander, und meine Nase zeigt einen halben Zentimeter nach rechts.« Sie streckte Cassie die Hand entgegen. Sie war blaß, fast unbehaart und wies fünf fein geschwungene Nägel mit weißen Monden auf. »Aber die hier ist wirklich schön. Jedesmal zeigten sie ein bißchen mehr von mir. Die letzte Anzeige ging schon bis zur Schulter. Ich schätze, der Rest ist bloß eine Frage der Zeit.«
Nicht einmal Alex - ein echter Weltstar, wie Cassie annahm - war so mit sich selbst beschäftigt wie Ophelia. Aber sie sah so ernst aus, wie sie ihre Hand vorstreckte und prüfend die Finger bog, daß Cassie einfach lächeln mußte. »Möchtest du noch was?« fragte sie und deutete auf das leere Saftglas.
Ophelia ging an einen Schrank, steckte die Hand hinein, kramte herum und zog sie mit einem englischen Muffin wieder heraus. »Laß nur. Ich kenne mich aus.«
»Gut«, fand Cassie. »Vielleicht kannst du ja die Führung für mich machen.«
Ophelia drehte sich vom Toaster weg. Angst malte sich auf ihren Zügen. »Mein Gott, Cassie, wie lang wird das denn noch dauern? Es muß schrecklich für dich sein.«
Cassie zog die Schultern hoch. »Ich habe ja Alex.«
»Der wird dir bestimmt eine große Hilfe sein«, knurrte Ophelia.
Cassie stellte sich an die Arbeitsplatte und begann, eine Erdbeere in acht hauchdünne Scheiben zu schneiden. Sie schnitt ganz methodisch und lauschte versonnen dem Klicken, mit dem die Messerklinge bei jeder Scheibe auf den Marmor traf. »Warum verabscheut ihr euch so?« fragte sie.
Cassie war nicht sicher, ob Ophelia nicht darauf antworten wollte oder ob sie die Frage nicht gehört hatte. »Butter?« fragte Ophelia. Sie schloß die Augen, als wolle sie sie orten, und öffnete dann ein Fach im Kühlschrank. »Ah«, sagte sie. Sie versuchte, das Muffin mit dem verletzten Arm zu halten, während sie mit der anderen Hand Butter darauf strich, aber das Gebäck rutschte ihr immer wieder aus den Fingern.
»Komm«, sagte Cassie. »Laß mich das machen.«
Sie reichte die Hälfte Ophelia, die ihren Unterarm anstarrte, als habe sie ihn noch nie gesehen. »Ich kann noch nicht wieder damit greifen. Es macht mich wahnsinnig. Und es juckt höllisch.«
»Wie ist es denn passiert?«
Sie zog die Schultern hoch. »Es war der beschissene Abschluß eines beschissenen Tages. Ich war auf diesem Fototermin für Parents, und ich mußte den ganzen Nachmittag lang nackte Babys in die Luft halten.« Sie streckte zur Demonstration die Arme vor. »Jedenfalls wollten sie immer den Kinderpopo und meine Hände unter den Babyarmen haben. Und plötzlich fängt dieses Baby - ein Junge - an, mich vollzupinkeln. Und ich trage die Bluse aus Waschseide, die ich mir letzten Monat bei Versace gekauft habe - du weißt schon, die ich dir gezeigt habe -, und ich weiß gleich, daß der Fleck nicht mehr rausgehen wird.« Sie hielt inne und biß von ihrem Muffin ab. »Und gerade als ich gehen will, erzählen sie mir, daß sie mich benachrichtigen werden, falls - falls sie das Bild in der nächsten Ausgabe bringen. Ich gehe also raus, und draußen gießt es wie aus Eimern, und ich habe keinen Schirm, und plötzlich liege ich mitten in einer Pfütze, und mein Arm ist unter mir eingeklemmt und tut mörderisch weh.« Sie grinste. »Allerdings habe ich mich mit dem Arzt in der Notaufnahme verabredet.« Sie sah Cassie an. »Hast du gewußt, daß sie den Gips inzwischen in allen Farben machen? Du kannst dir eine aussuchen - rosa, grün, sogar knallrot. Ich habe mich für schwarz entschieden, weißt du, weil das am besten zu meiner Abendgarderobe paßt.«
Cassie lehnte am Küchenbüffet, ganz erschlagen von Ophelias Ausführungen. »Aber reden wir nicht über mich«, meinte Ophelia. Sie lächelte, und Cassie sah, was sie gemeint hatte - ihre Nase war tatsächlich ein bißchen schief. »Was machen denn deine Knochen?«
»Knochen?«
»Mein Gott, du hast doch ständig über das Praxisseminar geredet, das du dieses Semester hältst. Ich war überzeugt, das hätte sich so tief in dein Gedächtnis gegraben, daß du es nicht mal im Koma vergessen könntest. Du fährst nach … laß mich nachdenken … Kenia, glaube ich, im Mai, und zwar mit der Abschlußklasse.«
»Ich war noch nicht wieder
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