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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Küche, wo diese sich ein Glas Orangensaft aus dem Kühlschrank einschenkte.
    Die Frau verzog amüsiert das Gesicht. »Was ist denn mit dir los? Hat Alex dich wieder die halbe Nacht mit seinen Monologen wach gehalten?«
    Unwillkürlich ballte Cassie die Fäuste. Sie wußte nicht, wer diese Frau war, aber Alex war unglaublich einfühlsam gewesen. Gestern, während Cassie am Strand geschlafen hatte, hatte er von John, seinem Fahrer, alle Fotoalben und Diakästen aus der Hauptwohnung herbringen lassen und später sechs Stunden lang neben Cassie in der dunklen, ruhigen Bibliothek des Apartments gesessen. Er hatte fremden Gesichtern Namen gegeben und Cassie in groben Strichen eine Vergangenheit skizziert, wobei er die entscheidendsten Minuten lang und breit ausgemalt hatte. Cassie hatte entspannt an Alex’ starker Schulter gelehnt und mit halb geschlossenen Augen verfolgt, wie ihr Leben plötzlich Farben und Formen annahm.
    Die Frau schüttete den Orangensaft hinunter, ließ sich auf einem hohen Barhocker aus Ahornholz nieder und schlang die Füße um die Stuhlbeine. Cassie kniff die Augen zusammen und versuchte, sich ein Bild ins Gedächtnis zu rufen, das Alex ihr gestern in einem Album aus ihrer Collegezeit gezeigt hatte. »Warst du früher nicht blond?« fragte sie vorsichtig.
    Die Frau zog die Nase kraus. »Was ist denn mit dir los? Ich bin seit Millionen Jahren nicht mehr blond.«
    Alex hatte sich so leise hinter Cassie angeschlichen, daß sie ihn nur bemerkte, weil sich der Blick der Frau plötzlich verdüsterte. Er trug nichts als ein Handtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. »Ophelia«, sagte er kühl und legte den Arm um Cassie. »Welch freudige Überraschung so früh am Morgen.«
    »Ja«, schnaubte Ophelia. »Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«
    Fasziniert beobachtete Cassie die beiden, dann nahm sie Ophelia noch einmal in Augenschein. Kein Wunder, daß ihr keine Sekunde lang Bedenken gekommen waren. Die schönste Frau, die ihr je begegnet war, tauchte an ihrer Tür auf, aber sie schenkte Alex nicht mehr Beachtung als ihrem Orangensaft, und Alex wollte offensichtlich nichts wie weg von ihr.
    Alex deutete auf ihren schwarzen Gips. »Sehnenentzündung? Überbeanspruchung? Eine andere Arbeitsverletzung?«
    »Fick dich«, antwortete Ophelia leichthin. »Ich bin auf dem Gehsteig ausgerutscht.«
    Alex zuckte mit den Achseln. »Hätte schlimmer kommen können.«
    »Schlimmer? Ich soll nächste Woche einen Werbefilm drehen, einen landesweiten Werbefilm für Clorox. Und mit dem rechten Arm soll ich eigentlich Bleiche in den Meßbecher kippen –«
    »Du bist auch Schauspielerin?«
    Cassies ruhige Frage brachte Ophelias Tirade augenblicklich zum Versiegen. Sie warf Alex einen mißtrauischen Blick zu. »Was zum Teufel hast du mit ihr angestellt?«
    Alex lächelte Cassie aufmunternd an. »Liest du eigentlich jemals Zeitung, Opie, oder geht das über deinen Horizont?«
    »Vom Lesen kriegt man Krähenfüße. Ich schau mir die Nachrichten im Fernsehen an.«
    Alex lehnte sich an die marmorne Kochinsel in der Mitte der Küche und kreuzte die Arme über der Brust. »Cassie hat letzte Woche irgendeinen Unfall gehabt und sich dabei am Kopf verletzt. Ein Bulle hat sie auf einem Friedhof gefunden; sie wußte ihren Namen nicht mehr. Sie findet erst langsam ihr Gedächtnis wieder, Stück für Stück.«
    Ophelia riß die Augen so weit auf, daß Cassie das Weiße rund um die grüne Iris sehen konnte. »Wie praktisch für dich. Bestimmt hast du dich sofort zum Heiligen stilisiert.«
    Alex überging Ophelias Kommentar, beugte sich zu Cassie herab und küßte sie auf die Stirn. » Sie heißt Ophelia Fox, aber das ist nicht ihr echter Name - allerdings ist kaum mehr was echt an ihr. Sie ist ein Hand-Modell; sie war deine beste Freundin auf dem College und deine Mitbewohnerin, als wir uns kennenlernten, und soweit ich weiß, ist sie dein einziger Charakterfehler.« Er zog sich das Handtuch fester um die Taille und ging zur Treppe. »Ach, Ophelia«, grinste er, »wenn du sehr nett zu mir bist, gebe ich dir vielleicht ein Autogramm auf den Gips.«
    Cassie sinnierte darüber, was eine Anthropologin mit einer Frau wie Ophelia Fox zusammengeführt haben konnte; bevor sie die Frage auch nur in Worte fassen konnte, kam Ophelia auf sie zu. Mit langen, schlanken Fingern fuhr sie über die verheilende Wunde an Cassies Schläfe. »Gott sei Dank«, befand sie. »Das wird keine Narbe geben.«
    Cassie prustete laut los. Das war nun

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