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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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an der Uni. Alex muß an Macbeth weiterarbeiten, deshalb haben wir beschlossen, daß ich mich beurlauben lasse und mit ihm fahre.«
    »Haben wir beschlossen?« Ophelia schüttelte den Kopf. »Du meinst, hat er beschlossen. Du begleitest Alex nie zu den Dreharbeiten. Jedenfalls nicht während des Semesters. Du mußt mehr als dein Gedächtnis verloren haben, denn die Cassie, die ich kenne, würde lieber sterben, als zwei Vorlesungen hintereinander ausfallen zu lassen.« Ophelia lächelte. »Vielleicht sollte ich mit dir zur Uni fahren und dich ein, zwei Stunden mit deiner Arbeit in dein staubiges altes Büro einschließen. Ich würde zu gern sehen, wie du zeterst und auskeilst, wenn Alex dich dann nach Schottland verschleppen will.«
    Cassie spürte, wie sich ihre Hand um das Messer krampfte. Sie hatte keinen Anlaß, Alex mehr Glauben zu schenken als Ophelia, aber sie tat es. Cassie schluckte und legte das Messer neben der aufgeschnittenen Erdbeere auf die Arbeitsfläche. Sie fuhr mit dem Finger durch eine rote Pfütze aus Saft und Samenkörnern; das Herz der Frucht, das Blut. »Warum verabscheut ihr beide euch so?« fragte sie noch einmal.
    Ophelia seufzte. »Weil wir uns zu ähnlich sind, um miteinander auszukommen. Wir sind im gleichen Geschäft, wenn auch auf verschiedenen Ebenen. Wir sind besessen von unserer Arbeit. Und wir wollen dich beide für uns allein haben.«
    Cassie lachte, aber das Geräusch schien die Luft um sie herum zum Klirren zu bringen. »Das ist doch lächerlich«, fand sie. »Du bist meine Freundin. Er ist mein Mann. In meinem Leben ist bestimmt Platz für euch beide.«
    Ophelia lehnte sich an die Kochinsel und reckte ihr Gesicht dem Dachfenster entgegen. »Sag das Alex. Er hat vom ersten Tag an versucht, dich ganz zu verschlingen.«
    Als habe er das Gespräch belauscht, kehrte Alex später am Vormittag mit einer Schachtel voller Knochen zurück. Er gab vor, unter ihrem Gewicht schier zusammenzubrechen, während er auf Cassie zuging. Sie saß am Küchentisch, blätterte in Fotoalben und fixierte gerade das verblichene Bild eines blonden Jungen. Er war mager und sehnig, an der Grenze zwischen Kind und Mann, und sein Arm hing lässig über Cassies Schultern. Sie war dreizehn, aber von der typischen unbehaglichen Distanz der Teenager zum anderen Geschlecht war nichts zu spüren. Im Gegenteil, so wie das Bild aufgenommen war, konnte man kaum erkennen, wo der eine aufhörte und die andere anfing.
    Cassie schaute nicht auf, bemerkte die Holzkiste mit dem wissenschaftlichen Versandaufkleber überhaupt nicht. »Alex«, sagte sie, »wo lebt Connor jetzt? Warum sehen wir uns nicht mehr?«
    »Keine Ahnung. Er ist das einzige, worüber du nie reden wolltest.«
    Cassie legte den Finger auf ein paar fliegende Haare, die in einer dünnen Linie von Connors Wange abstanden. »Wahrscheinlich ein Streit. Einer dieser dämlichen Kinderstreits, nach denen sich beide jahrelang mies fühlen, aber keiner den Mut findet, den ersten Schritt zu machen.«
    Alex stemmte die Kiste auf. »Das bezweifle ich. Du bist besessen davon, Zerbrochenes zu kitten.« Er warf ein paar vergilbte, schwere Knochenstücke hoch, die Cassie wie ein geübter Jongleur auffing. »Und hier habe ich ein paar Bruchstücke für dich.«
    Alex schüttete den Inhalt der Kiste auf den Eßtisch, mitten auf das aufgeschlagene Fotoalbum. »Und sag bloß nicht, ich würde dir nie was mitbringen«, grinste er.
    Cassie schob die schützende Transportverpackung aus weicher Watte und Zeitungspapier beiseite und betastete die ungefähr fünfzig Knochenteile. Jedes war mit Tusche beschriftet; in nach links geneigter, europäisch wirkender Handschrift waren das Grab, die Fundstelle, das Funddatum verzeichnet. »O Alex«, murmelte sie. »Wo hast du das her?«
    »Aus Cambridge, England«, antwortete er. »Und die haben es aus Cornwall, das behauptete jedenfalls das Labor, von dem ich es gekauft habe.«
    »Du hast mir einen Schädel gekauft?«
    Alex fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Du weißt ja gar nicht, was ich alles anstellen mußte, damit ich ihn nach Hause mitnehmen durfte. Ich mußte diesem Dr. Nervig -«
    »Dr. Nerval?«
    »Wie auch immer. Jedenfalls mußte ich eine Menge spenden, ihm erklären, für wen ich den Schädel haben will, und schwören, daß du ihn bestimmt an sein Museum zurückschicken und ihn nicht als Dekorationsstück in unser Regal stellen würdest.« Gedankenverloren hob er einen Wattebausch auf und zupfte ihn auseinander. »Und damit es

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