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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Wange, fast als wolle er sich entschuldigen. »Kümmer dich um sie, ja, Cass?« sagte er, doch noch bevor sie ihm antworten konnte, war er schon weg.
    Cassie schnürte ihre Stiefel zu und kochte dann ein weiches Ei, so, wie ihre Mutter es mochte. Zusammen mit einer Scheibe Toast trug sie es auf einem Teller nach oben. Vielleicht würde es nicht ganz so schlimm, wenn ihre Mutter etwas im Magen hatte.
    Als Cassie die Tür aufschob, lag Aurora quer über dem Bett und hatte den Arm über die Augen gelegt. »O Cassie«, stöhnte sie. »Kleines, bitte! Das Licht.«
    Cassie kam gehorsam herein und drückte die Tür wieder zu. Sie roch den klebrig-süßen Bourbon, der sich in den Zimmerecken mit den Spuren von Zorn mischte, die ihr Vater hinterlassen hatte.
    Aurora warf nur einen Blick auf das Frühstückstablett, das Cassie abgesetzt hatte, und begann zu heulen. »Hat er dir gesagt, wo er hin ist? Er ist da draußen, in diesem, diesem Blizzard-« Sie schleuderte eine Hand in Richtung Fenster, um ihre Behauptung zu untermauern. Dann ließ sie die Stirn in die Hand sinken und rieb sich die Nasenwurzel. »Ich weiß einfach nicht, wie es soweit kommen konnte. Ich weiß es wirklich nicht.«
    Cassie sah kurz in die rotgeränderten Augen ihrer Mutter und stemmte die Hände in die Hüften. »Steh auf.«
    Aurora schaute ihre Tochter an und blinzelte. »Wie bitte?«
    »Steh auf, hab’ ich gesagt.« Sie war erst zehn, aber sie war schon längst erwachsen. Cassie zerrte ihre Mutter vom Bett und reichte ihr nacheinander Anziehsachen: einen Rolli, einen Pullover, Wollsocken. Aurora staunte sie erst ungläubig an, aber dann fügte sie sich und nahm schweigend entgegen, was Cassie ihr hinhielt.
    Als Cassie die Haustür öffnete, wich Aurora einen Schritt zurück. Die Winterkälte folgte ihr ins Haus. »Raus«, befahl Cassie. Sie hüpfte in den Schnee und grinste, als sie bis zu den Schenkeln in einer Wehe versank. Sie drehte sich zu ihrer Mutter um. »Ich meine es ernst.«
    Sie brauchte eine Viertelstunde, um Aurora zwei Meter von der Veranda wegzubekommen. Aurora bibberte, und ihre Lippen waren blau, so wenig war sie daran gewöhnt, draußen im Schnee zu sein. Der Wind riß Cassie die Mütze vom Kopf und ließ sie über den Schnee davon tanzen. Sie sah, wie sich ihre Mutter wie ein Kind bückte und ehrfürchtig die weiße Fläche berührte.
    Cassie schöpfte eine Handvoll Schnee und formte ihn zu einem Ball. »Mom!« schrie sie, und im selben Augenblick warf sie mit aller Kraft.
    Sie traf Aurora an der Schulter. Ihre Mutter erstarrte, blinzelte und verstand offenbar überhaupt nicht, womit sie das verdient hatte.
    Cassie bückte sich und legte sich einen ganzen Vorrat an Schneebällen zu. Einen nach dem anderen schleuderte sie auf ihre Mutter, traf sie an Schulter, Brust, Beinen.
    So etwas hatte Cassie noch nie erlebt. Ihre Mutter sah aus, als habe sie keine Ahnung, was von ihr erwartet wurde. Als habe sie nicht die leiseste Idee, was sie tun sollte. Cassie ballte die Fäuste. »Wehr dich!« brüllte sie, und die Worte gefroren in der Kälte. »Verdammt noch mal! Wehr dich doch!«
    Sie bückte sich wieder, langsamer diesmal, damit ihre Mutter es ihr nachmachen konnte. Der Alkohol machte Auroras Bewegungen unsicher, und sie strauchelte, als sie sich wieder aufrichtete, aber sie hielt einen Schneeball in der Hand. Cassie schaute zu, wie ihre Mutter ausholte und den Ball warf.
    Er traf sie mitten ins Gesicht. Cassie spuckte und wischte sich den Schnee aus den Augen. Ihre Mutter legte bereits ein kleines Arsenal an. In dem blendenden Weiß sahen Auroras Augen längst nicht so rot aus; in der klirrenden Kälte begann sich ihr Körper ein bißchen zügiger zu bewegen.
    Cassie lauschte angestrengt, um das Geräusch durch den heulenden Wind hindurch zu erahnen. Es war leise und klar, das Lachen ihrer Mutter, und es wurde lauter und leichter, als es sich endlich aus seinen Fesseln befreite. Lächelnd drehte sich Cassie mit ausgebreiteten Armen im Schnee und ließ die weichen, süßen Bälle auf sich herabregnen.
    Immer wenn beim Aufwachen die Decke um Wills Hüfte gewickelt und seine Brust schweißnaß war, wußte er, daß er den Donnertraum gehabt hatte. Aber er verweilte nicht bei den Einzelheiten; im Lauf der Jahre war es ihm immer leichter gefallen, die Träume – obwohl sie immer öfter kamen – abzuschütteln. Er würde aufstehen und duschen. Und mit dem Schweiß würde er die Erinnerungen abwaschen, die ihn an die Sioux banden.
    Da er an

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